Projekt
Die beiden in Sanierung, Renovierung und Denkmalpflege erfahrenen Eigentümer, Inhaber eines Malerfachbetriebs, hatten das freistehende Einfamilien-Bauernhaus mit Scheune – 1880 innerhalb einer Wohnsiedlung erbaut – Ende 2018 erworben. Das unter Denkmalschutz stehende zweigeschossige Gebäude brachten sie unter Verwendung von alten und neuen natürlichen Materialien und Produkten wie Lehm, Kalk und Leinöl auf Vordermann und sorgten auch energetisch für eine Modernisierung. Ziel: die Komplettsanierung des Gebäudes auf KfW-Effizienzhaus-Niveau. Ein Höchstmaß an Wärmedämmung sollte erreicht und der verbleibende Energiebedarf so vollständig wie möglich durch einheimische regenerative Energien gedeckt werden. Gleichzeitig sollte der Bedarf an fossilen Energieträgern wie Heizöl und Erdgas auf ein Minimum reduziert werden – das alles mit Blick auf ein altersgerechtes Heim für den Eigenbedarf. Der Scheunenbereich soll später integriert werden, um die Gründung eines Mehrgenerationenhauses beziehungsweise einer Alters-WG zu ermöglichen.
Für die kostensparende Komplettsanierung wurde von einem Energieberater die folgende Maßnahmenkombination empfohlen: Wärmedämmung der Außen-/Innenwände, der OG-Decke und der Bodenplatte EG, Austausch der Fenster und der Haustüren, Integration einer Wand-Flächenheizung, Einbau einer Luft-Wärmepumpe mit PV-Strom-Solaranlage zur Warmwasserbereitung und Heizungsunterstützung sowie Kühlung im Sommer. Für die Maßnahmen wurden zwei Förderungen gewährt: eine für die Heizung und eine KfW-Förderung Nr. 430 „Effizienzhaus Denkmal“, die es heute jedoch nicht mehr gibt.
Bei der Sanierung, in deren Zuge ein alter Dielenboden aus dem 19. Jahrhundert sowie verschiedene alte Türen liebevoll aufgearbeitet und mit neuen Elementen kombiniert wurden, spielten der Gedanke des Bewahrens und der Nachhaltigkeit, das Experimentieren mit natürlichen Materialien und die Idee der Wohngesundheit eine große Rolle. Das Haus soll auch als eine Art Showroom dienen und andere Menschen inspirieren.
- 65% Erneuerbare Energien
- Sanierung
- Wärmepumpe
- Wohngebäude
Bautafel:
BAUVOLUMEN
Wohnfläche 155,94 m²
BAUZEIT
02/2019 – 12/2023 Wohnbereich
BAUKOSTEN
Geschätzte 200.000 Euro
ENERGETISCHER ZUSTAND
Vorher: Ölheizung, Einzelöfen (Festbrennstoff)
Nachher: Effizienzhaus KfW 115
VERWENDETES MATERIAL
Dacheindeckung: erhaltenswerte Tonziegel; Kaltdach
Wände: Fachwerk, Lehm, Holz (Ständerwerk), Stampflehmwand, Holzweichfaserdämmplatten, Kalkputz in den Bädern; Leinöl als Holzanstrich und Lincrusta-Tapete; Holzverkleidung im Flurbereich mit Nut-&-Feder-Brettern, Sachsenstab, wie bauzeitlich im Ort üblich
Fußböden: Bodenflächen im EG nivelliert, teilweise mit Bodenheizung, im OG teilweise nivelliert. Holzdielen im Bestand und neu, Linoleumboden neu, Zementfliesen (neu wie bauzeitlich)
Fenster: Holzfenster aus Lärche, zweifachverglast gemäß Vorgaben Energieberater; Leinölanstrich
VERWENDETE GEBÄUDETECHNIK
Luft-Wärmepumpe
Photovoltaikanlage auf dem Süddach sowie auf Ost- und Westdach des Scheunenanbaus
Kühlmöglichkeit über die Wärmepumpe
Stromspeicher (in Planung)
Zisterne zur Regenwassernutzung/Gartenbewässerung (in Planung)
Herausforderungen
Zu den größten Herausforderungen gehörte die Entscheidung für das Heizsystem. Beinahe wäre eine Pellet-Heizung eingebaut worden. Doch die Bauherren hatten Zweifel und fühlten sich nach Rücksprache mit einem Fachmann für erneuerbare Energien in der Annahme bestätigt, ein Fachwerkhaus so isolieren zu können, dass sie mit einer Wärmepumpe auskommen. Mit ihrem Malerbetrieb hatten die Bauherren schon verschiedene Dämm-Maßnahmen verwirklicht, daher kannten sie sich in der Materie aus. Als Schlüssel erwies sich dann ein Energieberater, der aufgrund seiner Kenntnis alter Baumaterialien eine fundierte Berechnung liefern konnte. Also wurde zunächst das Fachwerk so weit mit Lehmputz aufgefüllt, dass man eine ebene Fläche bekam. Darauf wurden Holzweichfaserplatten (Nut & Feder) angebracht, auf diese wiederum die Flächenwandheizung und darauf schließlich noch einmal Lehm.
Entgegen vielen Berichten aus der Baupraxis machten die Bauherren in der Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz gute, wertschätzende Erfahrungen. Bei der Beratung und Begleitung ähnlicher Bauvorhaben jedoch kämpfen sie teilweise gegen Windmühlen, wobei sie angesichts des Fehlens verbindlicher Grundregeln für alle ein gewisses Verständnis für die gern als Willkür empfundenen behördlichen Beschlüsse aufbringen.
Bei einem derart komplexen Projekt wie dem vorliegenden hängt der Erfolg zu guter Letzt auch davon ab, wie effizient die verschiedenen beteiligten Gewerke ineinandergreifen. So arbeiteten nach sorgfältiger Planung im Vorfeld und kontinuierlichen Absprachen alle Beteiligte – ob Verputzer oder Installateure, Elektriker oder Schreiner, Spengler oder Dachdecker – gut aufeinander abgestimmt zusammen.
Ziele & Erfolge
Als Bauen-im-Bestand-Projekt hat das Vorhaben von vornherein Ressourcen geschont. Auch im Detail verfolgte man das Prinzip des Recyclings und der Wiederaufbereitung – von alten Schlössern und Beschlägen bis hin zu Sandsteinen im Außenbereich. Durch den Einbau einer Luft-Wärmepumpe und die Montage von Photovoltaik-Elementen heizt man klimafreundlich und erzeugt sauberen Strom. Verbrennung ist kein Thema – der Schornstein auf dem Dach gehört zu zwei kleinen Holzöfen, die der Behaglichkeit wegen eingebaut wurden, nicht als unverzichtbare Heizquelle. Durch Dämmung gibt es wenig Wärmeverlust.
Die Energiekosten sanken von 3.253 €/a auf 1.338 €/a, das bedeutet eine Einsparung von 1.915 €/a beziehungsweise 58,9 Prozent. Die überschaubaren Heizkosten sorgen für Kostensicherung und eine langfristige Absicherung des Lebensstandards. Hinzu kommen die Steigerung des Wohnkomforts, verbesserter Schallschutz und die langfristige Sicherung der Vermietbarkeit.
Durch die energieeffiziente Umsetzung modernen Wohnens in Verbindung mit den Vorzügen alter nachhaltiger Baustoffe liefert das Projekt Gesprächsstoff. Viele Menschen sind neugierig und überrascht, was man aus einem solchen für die Region typischen alten Haus machen kann. Als leidenschaftliche Maler und Fans alter Techniken zeigen die Bauherren nicht nur, was sie selbst können, zum Beispiel Schablonierungen, Wickeltechniken, Anstrichtechniken und Spachtelarbeiten, sondern auch was neue Produkte aus alten und nachhaltigen Rohstoffen zu leisten vermögen. Es geht um die Würdigung alter Handwerkskunst und um den Respekt vor der Geschichte des Hauses.
Dankbar sind die Bauherren auch für die Vernetzung mit der IG Bauernhaus, in der, so ihre Erfahrung, häufig kontrovers, aber auch konstruktiv und lösungsorientiert gestritten werde. Das „Vogelsberger Einhaus“ wurde 2022 zum „Bauernhaus des Jahres“ gekürt. Dass die Bauherren nun ein solches besitzen, macht sie stolz.
Maßnahmen
Vorher:
Endenergiebedarf: ca. 52277 kWh/a
Heizsystem: Ölheizung, Zentrale Wärmeerzeugung durch NT-Kessel – 16 kW, Heizöl EL. Kessel-Wirkungsgrad bei Volllast : 90,3 Prozent, Auslegungstemperaturen 70/55 °C, mäßige Dämmung der Leitungen (Altbau), altbautypischer Betrieb, Umwälzpumpe nicht leistungsgeregelt, freie Heizfläche, Anordnung im Außenwandbereich. Zentrale Warmwassererzeugung/-bereitung über die Heizungsanlage.
Gebäudehülle: Fachwerk, Lehm, Holz ohne Wärmedämmung. Wohngefühl kalt und zugig. Traditionell hatten Häuser wie dieses ursprünglich nur mit der Abwärme vom Stall und Frucht auf dem Boden zur natürlichen Isolierung nach oben gut funktioniert, sprich: mit einer stallseitigen Wärmequelle. Hinzu kamen mit Holz, Kohle oder Öl befeuerte Einzelöfen, die auch nur bedingt einen Wohnkomfort gewährleisten konnten. Energiekosten: ca. 3253 €/a
Maßnahmen:
Hülle: Dämmung der beiden nicht fachwerksichtigen Seiten des Hauses außen: die Südseite mit Holzweichfaserplatten und einer hinterlüfteten Wettbrett-Verschalung, die Brandwand zur Scheune mineralisch mit Steinwolle und verputzt.
Dämmung der beiden fachwerksichtigen Seiten des Hauses von innen wie folgt:
- Ausgleichsputz der bestehenden Gefache nach Reparaturarbeiten am Fachwerk von innen (hier hatten Hohlräume hinter Gipskarton zu Kondensatausfall geführt, weshalb Balken getauscht bzw. repariert werden mussten); Verkleben (mit Lehm, beidseitig aufgebracht) und Dübeln einer 6-cm-Dämmschicht aus Holzweichfaser mit Nut & Feder
- Dichtes Ausstopfen der Ränder der Dämmebene mit Hanffaser-Lehmgemisch sowie der Anschlüsse in den Fensterausschnitten (diese sind auch gedämmt)
- Anbringen der Heizschlangen für die Wandheizung
- Aufputzen der Schlangen mit Lehm
- Armierungsebene mit Lehmputz
- Oberputz mit Lehmputz
- In der Dekorschicht wurden verschiedene Produkte ausprobiert: Lehmedelputze, Lehmfarben; die Bäder abweichend mit Kalkputzen ausgeführt (wegen Feuchtebeständigkeit und Alkalität)
- Eine alte mit Salzen belastete Stallwand aus Ziegelsteinen wurde durch eine massive Lehmstampfwand ersetzt
- Konventionelle Ausnahme: Erstellung von Installationsebenen vor allem in den Flurdecken, Bädern, der Küche und einer Wand durchgehend durch beide Geschosse in Trockenbauweise, um alle Versorgungsleitungen des Hauses unterzubringen, mit Revisionsklappen versehen, etwa bei der Unterverteilung der Wandheizung; Gestaltung der Oberflächen (Oberputz, Dekorschicht) ebenfalls mit Lehm.
Dämmung der oberen Geschossdecke: Dämmkasten mit Isocell ausgedämmt; Deckel aus Rauspundbrettern wegen Diffusionsoffenheit.
Türen und Fenster: Alle Fenster neu, zweifachverglast; Neubildung der Anschlüsse; Verzicht auf Schäumen, Ausführung mit Hanf, Stopfhanf
Luft-Wärmepumpe:
- Viessmann Vitocal 200-S, Typ AWB /AWB-E-AC 201.D09
- Split-Luft/Wasser-Wärmepumpe
- Heizen und Kühlen
- Wärmequelle: Außenluft
- Betriebsweise: monovalent
-
Koppelung mit PV
Nachher:
Endenergiebedarf: 6706 kWh/a,
Effizienz der WP (JAZ):
Jahresarbeitszahl der Wärmepumpe im Heizbetrieb: 5,1
Jahresarbeitszahl der Wärmepumpe für Trinkwassererwärmung: 3,7
Gesamtjahresarbeitszahl der Wärmepumpenanlage: 4,8
Betriebskosten Heizung/TWW: 1.338 €/a
Lessons learned
Das Projekt zeigt: Es ist möglich, einfache Bauernhäuser fit für die Zukunft und zu Niedrigenergiehäusern zu machen, und das bei geringem Materialeinsatz. Wichtig für den Erfolg sind jedoch ein schlüssiges Konzept vor Baubeginn, zielführend kommunizierende Fachfirmen, die sich auskennen und in der Lage sind, Schnittstellen mit anderen Gewerken bzw. Fachfirmen abzustimmen, sowie Geduld im Ringen um eine konsequente Umsetzung. Selbsttun nach fachlicher Beratung kann nicht schaden, auch mit Blick auf das Kosteneinsparungspotenzial. Eine schöne Bestätigung für die Bauherren ist, dass auch andere Menschen lernen: Bekannte, die von dem Projekt abgeraten hatten, sind vom Ergebnis, das auch als Showroom dienen soll, angetan. Eine detaillierte Fotodokumentation, die die Bauherren während der gesamten Bauzeit erstellt haben, nutzen sie bei der ehrenamtlichen Beratung zahlreicher Interessierter.