Projekt
Die weltweit agierende Waffelfabrik Meyer zu Venne ist in der Ortschaft Venne, einem Teil der Gemeinde Ostercappeln beheimatet. Um die während der Lebensmittelproduktion entstehende Wärme – rund 10 Millionen Kilowattstunden jährlich – nicht verpuffen zu lassen, gingen Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde auf Initiative des Unternehmens und des Bürgermeisters einen mutigen Weg. Mit der Gründung der Bürgerenergiegenossenschaft Venne Energie eG entstand das Bauvorhaben für ein Nahwärmenetz, das heute 174 Objekte mit Wärme versorgt. Darunter sind neben Wohnhäusern auch eine Schule, Kirchen, ein Kindergarten sowie ein Einkaufsmarkt.
Die Besonderheit des Projekts liegt in der bürgerschaftlichen Initiative. Die Genossenschaft zielt nicht auf Gewinnmaximierung, sondern auf Klimaschutz. Mitglieder beteiligen sich finanziell über den Eintrittsbetrag, der auch den Hausanschluss beinhaltet, die Genossenschaftsanteile sowie über einen vereinbarten Kilowattstundenpreis. Die restlichen Kosten wurden über eine KfW-Förderung sowie einen Bankkredit gestemmt.
Insgesamt 10,5 Kilometer lang ist das inzwischen verlegte Nahwärmenetz für das Erschließungsgebiet im Ortskern. Die Nutzung von industrieller Abwärme durch eine Bürgerenergiegenossenschaft findet sich in dieser Form hierzulande bislang nur vereinzelt. Das Venner Projekt gilt daher als Vorbild und teilt aktiv die bisher erlangten Erkenntnisse und Projektmeilensteine mit interessierten Initiativen – sogar weit über die Grenzen Deutschlands hinaus.
- 65% Erneuerbare Energien
- Energieeffizienz
- Neubau
- Quartier
Bautafel:
PROJEKT
174 angeschlossene Gebäude
144 Genossenschaftsmitglieder
ca. 10,5 km langes Rohrleitungsnetz
KOSTEN
5,5 Mio. € Baukosten
1,2 Mio. € Zuschüsse und Förderung
4,5 Mio. € Investitionssumme der Genossenschaft + nachträglich 500.00 € für das Neubaugebiet Erlengrund
PLANUNGS- UND BAUZEIT
Planung: 2012 bis 2014
Bauphase: 6 Monate in 2014
Erste Wärmeversorgung: 2015
ENERGETISCHER ZUSTAND
Heute: 600 MWh Wärmeauskopplung
> 25 % (Anfangsphase), heute über 50 % Anteil an Wärmeenergie durch Abwärme der Waffelfabrik, Rest über Erdgas.
Dadurch Einsparung von 1.100 Tonnen CO2 sowie mehr als 400.000 l Heizöl pro Jahr
Zielzahl Heizperiode 2024/25: 80 %
VERWENDETE TECHNIK
17 Wärmetauscher in den Produktionshallen der Waffelfabrik Meyer zu Venne GmbH & Co. KG
Nahwärmenetz mit unterirdischen Rohrleitungen
Heizzentrale mit zwei Gaskesseln und insg. 2,5 MW
Pufferspeicher mit 1.000 m³ Wasser Kapazität
Übergabestationen mit Wärmetauschern in den Haushalten
Herausforderungen
Während der Planungsphase stellte sich die Finanzierung als größte Hürde dar. Da die Erdleitungen nicht als Sicherheit geltend gemacht werden konnten, wäre ein Bankkredit mit hohen Zinsen verbunden gewesen. Daraufhin übernahm die Gemeinde Ostercappeln eine Bürgschaft, so dass das Vorhaben letztendlich mit einem niedrigen Zins finanziert werden konnte.
Eine weitere Schwierigkeit bei der Nutzung industrieller Abwärme ergibt sich stets aus der Tatsache, dass die beteiligte Firma durch die betriebsfremden technischen Anlagen in den Fabrikhallen ihre Produktion nicht gefährden will. Das Projekt in Venne konnte daher nur durch die enge Zusammenarbeit und das große Vertrauen zwischen den Akteuren realisiert werden.
Nicht zuletzt ergaben sich nach der Realisierung signifikante Unterschiede zwischen der errechneten, durch den Wärmetauscher-Hersteller vertraglich zugesicherten Wärmeauskopplung sowie dem späteren, realen Wert. Dies galt es durch eine Versorgung mit Gas zu kompensieren, dessen Preis im Lauf der letzten Jahre weit über das erwartbare Niveau gestiegen ist. Zahlreiche Maßnahmen, etwa die Dämmung der Rohrleitungen, der Einbau weiterer Wärmetauscher oder der Umtausch zu leistungsfähigeren Geräten führten später zu einer Leistungsverbesserung des Systems. Inzwischen wird die Mindestanforderung von 50 Prozent Wärmeenergie durch industrielle Abwärme erreicht. Aufgrund weiterer geplanter Maßnahmen soll zur Heizperiode 2024/25 die Quote auf 80 Prozent steigen.
Ziele
Am Anfang des Projekts galt es, das nutzbare Potenzial der Abwärme aus der Waffelfabrik möglichst genau zu ermitteln. Dem ersten Schritt in die Öffentlichkeit ging eine 1,5-jährige Phase der Messungen und Untersuchungen im Betrieb von Meyer zu Venne voraus. Ziel war es, durch das neue Nahwärmenetz die bis dahin eingesetzten Öl- und Erdgas-Heizungen von rund der Hälfte der Gebäude im Erschließungsgebiet zu ersetzen. Bereits wenige Wochen nachdem Politik, Eigentümer, Fachfirmen und Banken von der Maßnahme überzeugt waren, fand sich die Mindestanzahl an Hausbesitzern und Genossenschaftsmitgliedern.
Zwar wird für die Nahwärme nach wie vor auch Erdgas als Energiequelle genutzt, doch lassen sich durch die Maßnahme der Abwärmenutzung etwa 1.100 Tonnen CO2 sowie mehr als 400.000 l Heizöl pro Jahr einsparen. Zwei Spitzenlastkessel sowie ein Quartier-Pufferspeicher sichern außerdem die Versorgung. Das Netz ist inzwischen auch in ein Neubaugebiet am Ortsrand ausgeweitet worden. Derzeit befindet sich die Genossenschaft in Verhandlungen mit einem weiteren Industrieunternehmen, dessen Wärme dem Netz zugeführt werden könnte. Ziel ist, in naher Zukunft die Gasnutzung erheblich zu beschränken bzw. ganz darauf verzichten zu können.
Lessons learned
Das Projekt des Nahwärmenetzes in Venne sowie der Bürgerenergiegenossenschaft ist als Beispiel im PInA, dem Planungsportal für die Nutzung industrieller Abwärme der Hochschule Osnabrück aufgeführt.
Insgesamt war die Umsetzung des Vorhabens nur durch den frühzeitigen Schulterschluss von Politik, Industrie und Bevölkerung möglich. Es erfolgte zudem eine große ideelle Unterstützung durch den Landkreis Osnabrück und der Kommunalaufsicht der Gemeinde Ostercappeln.
Die Genossenschaft konnte ihr Konzept auf verschiedenen Klimagipfeln oder Fachtagungen in der Region bis hin nach Berlin vorstellen. Venne selbst ist wiederum Ziel interessierter Besucher aus Politik und Wirtschaft, darunter von Europarats-, Bundestags- oder Landtagsabgeordneten sowie von Vertretern ähnlicher Initiativen, etwa zuletzt aus Schottland oder Japan.