Projekt
Ursprünglich war der Oberhof im Bad Homburger Stadtteil Ober-Erlenbach eine Hessische Staatsdomäne und diente der landwirtschaftlichen Nutzung. Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts abschnittsweise erbaute und als Dreiseithof realisierte Hofanlage beherbergte in den Nord-, West- und Südflügeln Stallungen in den Erdgeschossen – bis heute teilweise mit aufwendigen Kreuzgewölben und weit gespannten Tonnengewölben, die von Sandsteinsäulen getragen werden. Außerdem gab es Traktor- und Kutschengaragen, in den Dachstühlen waren Fruchtspeicher angelegt. An der östlichen Grenze des rund 7.000 qm großen Grundstücks wurde in den 1960er Jahren eine Halle errichtet, die anfangs als Offenstall, später als Maschinenhalle diente. Ende der 1990er Jahre wurde der Oberhof als Einzelkulturdenkmal im geschichtlichen Sinn in die Denkmalliste des Landes Hessen aufgenommen. Mit dem Pächterwechsel 1996 kam eine junge Landwirtefamilie auf den Hof: Sie stellte den konventionellen Betrieb auf ökologische Landwirtschaft um und siedelte weitere Mieter an. Architekten, Künstler, Gewerbetreibende bauten einen kleinen Teil der ungenutzten Stallungen für Ihre Zwecke aus. So entstand ein Ort der Gemeinschaft im Stadtteil, der bald zu zerbrechen drohte.
Denn als die Hofanlage aus landwirtschaftlicher Sicht unrentabel wurde, plante die Domänenverwaltung den Verkauf. Es gründete sich ein Verein mit dem Ziel des Erhalts und der Umnutzung. Indem die Stadt Bad Homburg von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machte, wurde der Weg für das Mehrgenerationenprojekt "Oberhof" geebnet. Seit der Fertigstellung Im Herbst 2021 dient die Hofanlage überwiegend der Wohnnutzung. Zusätzlich zu zwei Bestandswohnungen wurden 27 weitere Wohnungen geschaffen: Im Ostflügel entstand ein Neubau mit 13 Wohnungen, 11 davon barrierefrei – in den denkmalgeschützten West- und Südflügeln wiederum gibt es 16 Wohnungen. Alle Wohnungen sind genossenschaftlich vermietet. Die Wohnnutzung wird ergänzt durch soziale und kulturelle Angebote wie Stadtteil- und Familienzentrum, Stadtteilbibliothek, Diakonie, Jugendzentrum, Ateliers, Hofladen, Friseur und Café.
- Baustoffe
- Energieeffizienz
- Sanierung
- Wohngebäude
Bautafel:
BAUVOLUMEN
Gesamtgrundstück: 7.000 m², Wohn-Nutzfläche: 4.500 m²
BAUZEIT
05/2019 (Grundsteinlegung des Neubaus) – 09/2021 (Übergabe an die Genossenschaft)
BAUKOSTEN
14 Mio. Euro Brutto-Gesamtkosten (ca 3.200 Euro pro qm vermietbare Fläche)
ENERGETISCHER ZUSTAND
Ausgangssituation: Aus Gründen des Denkmalschutzes waren keine Solardächer realisierbar, auch kam keine Außendämmung infrage.
Neubau: KfW 55 Standard
Wohnungen historische Gebäude: erfüllen die Anforderungen KfW Denkmal
VERWENDETES MATERIAL
Ziegel, Holz und Bruchsteine, die beim Umbau frei wurden, sind im Projekt wiederverwendet worden
Sowohl im Innenbereich als auch an den Fassaden wurde mit natürlichen, nachhaltigen Materialien saniert. Verwendet wurden Kalkputze, Kalkfarben, Holzfenster, geölte Eicheböden.
VERWENDETE GEBÄUDETECHNIK
Blockheizkraftwerk
Nahwärmenetz
Innenwanddämmsystem auf Kalziumsilikatbasis
Ertüchtigung der historischen Dachstühle – mit 24 cm Zellulosedämmung und zusätzlichen 35 mm Holzweichfaserplatten erfüllen sie die Anforderungen an den Wärmeschutz überdurchschnittlich
35-cbm-Staukästen puffern bei Starkregenereignissen die Wassermengen, um das Entwässerungssystem zu entlasten
Herausforderungen
Die ersten und größten Hürden waren der Umgang mit den Verkaufsabsichten und die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse. Die ursprüngliche Eigentümerin, das Land Hessen, wollte die Hofanlage veräußern. Allerdings hätte eine Ausschreibung die Domäne in die Hände des meistbietenden Investors gegeben – der mit dem Ziel des Erhalts und der Umnutzung des Geländes gegründete Verein wäre im Bieterverfahren nicht zum Zug gekommen. Die Idee, dass die Stadt Bad Homburg von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch macht, wurde lange Zeit im Stadtparlament kontrovers diskutiert, am Ende jedoch in die Tat umgesetzt, so dass mit der Umwandlung begonnen werden konnte.
Allerdings hatte sich inzwischen der Leerstand schädlich auf die Bausubstanz ausgewirkt. Zu guter Letzt waren auch die Vorgaben des Denkmalschutzes zu berücksichtigen – insbesondere mit Blick auf den geplanten Ausbau und die Nutzung der Dachräume. Historisch wertvolle Gewölbe in den Erdgeschossen machten den Einbau von innenliegenden Treppenhäusern unmöglich, und auch das Anstellen von Laubengängen war anfangs nicht im Sinne des Denkmalamts. Doch nach etlichen konstruktiven Gesprächen wurden sinnvolle Lösungen gefunden. Eine letzte Herausforderung stellte ein verheerender Dachstuhlbrand im denkmalgeschützten Südflügel dar, der sich im August 2020 ereignete. Doch im September 2021 konnte die Fertigstellung des Mehrgenerationenprojekts Oberhof endlich gefeiert werden.
Ziele & Erfolge
Durch die unterschiedlichen Wohnungsformen und -größen auf dem Oberhof fühlen sich Menschen aller Altersgruppen und Lebensformen angesprochen. 40 Prozent der Wohnungen sind barrierefrei gestaltet, die ideale Basis für eine inklusive Gemeinschaft. Auch das Stadtteil- und Familienzentrum, die Diakonie, die Stadtteilbibliothek sowie das Jugendzentrum, der Hofladen und der Frisör sind barrierefrei erreichbar. Ein autofreier Innenhof mit Spielplatz und vielen Sitzgelegenheiten bietet Raum für die Freizeitgestaltung und für den Austausch der Bewohner untereinander, aber auch mit den Menschen aus dem Stadtteil sowie aus umliegenden Gemeinden. Daneben gibt es naturnah gestaltete Gärten und Gemeinschaftsflächen, die die Bewohner zum gemeinsamen Pflanzen und Ernten einladen.
Auch in baulicher Hinsicht wurden Erfolge erzielt. So wurden Dachstühle, zum Teil schöne Sprengwerke und gut erhaltene Tragwerke, beim Ausbau größtenteils sichtbar erhalten. Da die Nutzungen sensibel in die vorhandenen Strukturen eingefügt wurden, konnten die
Eingriffe in den historischen Bestand minimiert werden. Alte Toröffnungen, die im Laufe der landwirtschaftlichen Nutzung zugemauert worden waren, wurden wieder geöffnet und bilden nun großzügig verglaste Eingangsbereiche. Auch auf Klimafreundlichkeit wurde geachtet: So wurden beim Umbau frei gewordene Ziegel, Holzelemente und Bruchsteine im Projekt wiederverwendet. Historische Fenster wurden saniert und zu Kastenfenstern ertüchtigt. Sowohl im Innenbereich als auch an den Fassaden wurde mit natürlichen, nachhaltigen Materialien saniert.
Da aus Gründen des Denkmalschutzes keine Solardächer realisierbar waren, versorgt ein eigenes Blockheizkraftwerk die Gebäude über ein Nahwärmenetz mit Wärme. Der Neubau erfüllt den KfW 55 Standard, die Wohnungen in den historischen Gebäuden erfüllen die Anforderungen KfW-Denkmal. Besondere Dämmaßnahmen sorgen dafür, dass auch in den denkmalgeschützten Teilen die Anforderungen an den Wärmeschutz überdurchschnittlich erfüllt werden. Nachträgliche PV-Anlagen wären nun nach der neuen Gesetzgebung denkbar und werden von der Genossenschaft in Erwägung gezogen.
Lessons learned
Das Projekt zeigt, dass alte Bestandsgebäude nicht abgerissen werden müssen, sondern gewinnbringend und klimafreundlich in zukunftsorientierte Quartiere umgewandelt werden können. Allerdings haben die zentralen Akteure die Erfahrung gemacht, dass man für ein Projekt dieser Größenordnung einen langen Atem braucht: um Überzeugungsarbeit zu leisten und um die richtigen Player zusammenzubringen. Umso schöner ist die zu guter Letzt gewonnene Erkenntnis, dass sich gute, sinnvolle Ideen durchsetzen.