Projekt
Im baden-württembergischen Winnenden wird das 2016 fertiggestellte Gerberviertel durch ein Nachfolgeprojekt erweitert. Im Gerberviertel II entstehen sechs Mehrfamilienhäuser mit 56 Wohneinheiten, der Bau soll 2023 beginnen. Bei der Energieversorgung des neuen Quartiers setzt der Projektentwickler Projektbau Pfleiderer gemeinsam mit den Stadtwerken Winnenden auf innovative Technik, die die Energiegewinnung aus Abwasser mittels Wärmetauscher-Anlage beinhaltet.
Hierzu wurden bereits über eine Länge von 130 m Wärmetauschmodule in den neu verlegten Abwasserkanal montiert. Bei den Modulen handelt es sich um 1–2 m lange maßgefertigte doppelschalige Druckbehälter aus Edelstahl, die von einem kühlen Wasser-Glykol-Gemisch als Trägermedium durchströmt werden und als Ganzes über eine Vor- und eine Rücklaufleitung mit einer Wärmepumpe in der Heizzentrale für die Gebäude verbunden sind. Das kühle Trägermedium wird von der Wärmepumpe in die Module des Wärmetauschers geschickt, über den wiederum warmes Abwasser fließt. Das Trägermedium nimmt die Wärme des Abwassers auf und bewegt sich gleichzeitig von der einen auf die andere Seite durch die Module. Anschließend wird das erwärmte Trägermedium zurück zur Wärmepumpe geführt, die das Temperaturniveau durch das Prinzip der Verdichtung steigert und die nutzbare Energieleistung hochschraubt. Die entstehende Wärmeenergie heizt die Gebäude. Es ist ein Prozess, der als Kreislauf funktioniert.
- 65% Erneuerbare Energien
- Neubau
- Quartier
- Wärmepumpe
Bautafel:
PROJEKTART
Quartiersentwicklung
WOHNEINHEITEN
6 Mehrfamilienhäuser mit 56 Wohneinheiten
JAHR
Installiert 2021
LÄNGE WÄRMETAUSCHERANLAGE
130 m
ABWASSERTEMPERATUR (MIN)
11,0 °C
ABWASSERMENGE (MIN)
30 l/s
THERMISCHE LEISTUNG WÄRMETAUSCHER
281 kW Heizen
HEIZLEISTUNG (INKL. WÄRMEPUMPE)
375 kW
VORLAUF-TEMPERATUR WÄRMETAUSCHER
2,0 °C
RÜCKLAUF-TEMPERATUR WÄRMETAUSCHER
5,0 °C
MEDIUM PRIMÄRKREIS
Wasser-Glykol, Glykol-Anteil: 20 %
MONOVALENTES SYSTEM
Abwasserwärme deckt gesamten Bedarf
QUELLE STROM FÜR WÄRMEPUMPE
Mix Ökostrom und eigene PV-Anlage
Herausforderungen
Im Abwasser steckt ein enormes Energiepotenzial, zudem ist es ständig und in großer Menge verfügbar, überaus umweltfreundlich und obendrein noch kostenlos. Nach EU-Definition gilt es auch als erneuerbare Energiequelle. Lässt sich diese Energiequelle erschließen, und mit welchen Materialien? Letztere müssen nämlich robust genug sein, um gegen Abwasser, Lochfraß und Korrosion zu bestehen. Als Lösung wurde ein an jede Kanalsituation anpassbarer doppelschaliger Wärmetauscher aus Edelstahl gefunden, dessen Module rund 50 Jahre im Kanal liegen können, ohne größeren Verschleiß zu zeigen, wobei die tatsächliche Betriebsdauer letztlich von der nachgeschalteten Systemtechnik abhängt. Der Wärmetauscher ist mit der Wärmepumpe im Gebäude verbunden, und zwar mit einer Vorlauf- und einer Rücklaufleitung in Form von ungedämmten Rohren aus Polyethylen, das Ganze in einer Tiefe zwischen 0,8 und 1,2 m. Zentrale Partner in Winnenden sind die örtlichen Stadtwerke und die Projektentwicklungsgesellschaft. Grundsätzlich lässt sich der Wärmetauscher als multivalentes System in verschiedene Heizsysteme einbinden – in Winnenden soll er jedoch als monovalentes System den gesamten Wärmebedarf decken.
Ziele & Erfolge
Ziel war es, aus dem ansonsten ungenutzt dahinfließenden Abwasser Energie zu gewinnen. Wirtschaftlich von Vorteil ist, dass nur kurze Wege bestehen, da Energiequelle und Energiebedarf räumlich zusammenfallen. Die Wärmegewinnung aus Abwasser ist eine Rückgewinnung und keine Neuerzeugung, von daher erfordert sie deutlich weniger zusätzlichen Energieaufwand und somit weniger Emissionen. Weil die für den Betrieb der Wärmepumpe erforderliche elektrische Energie im Gerberviertel II aus den Photovoltaikanlagen auf den Gebäudedächern generiert und ergänzend aus Ökostrom von den Stadtwerken Winnenden bezogen werden soll, fallen im Betrieb keine CO2-Emissionen an – die aus Abwasser gewonnene Wärme ist somit klimaneutral.
Lessons learned
Der Erfolg und die Effizienz der Technologie hängen ab von den Rahmenbedingungen: Der für das Gerberviertel II neu verlegte öffentliche Kanal verläuft nah an den Gebäuden, von daher wurden nur kurze Anschlussleitungen benötigt. Er verfügt über eine ausreichende Größe (Kreisprofil 1.400mm) und wird 30 l/s Abwasser führen – ab mindestens 10 l/s lohnt es, den Einsatz der Wärmetauscher-Anlage zu prüfen. Je mehr Abwasser fließt, desto höher und günstiger ist die gewonnene Energie. Das Glykol im Trägermedium fungiert als Frostschutzmittel. Zu guter Letzt ist der Wärmetauscher problemlos und jederzeit erweiterbar oder auch demontierbar. Somit dürfte sich auch in Rheine die Nutzung von Abwasserwärme als klimafreundliche Form der Wärmerückgewinnung sowie als wichtiger Baustein der Energiewende erweisen.
In Europa sind inzwischen mehr als 120 solcher Anlagen in Betrieb. Grundsätzlich ergibt sich daraus für Kommunen, Energieversorger und Stadtentwickler ein enormes Potenzial, zumal der Wärmetauscher ein internes, passives System ist, das keinen zusätzlichen Platz bedarf, maßgeschneidert sowohl in neue als auch – im Rahmen einer Nachrüstung ohne großen Aufwand – in bestehende Kanäle eingebaut werden kann und nur geringen Wartungsaufwand benötigt.