Miscanthus: Nachhaltiger Rohstoff mit Potenzial für die Baubranche
Stand: August 2022Miscanthus oder auch Chinaschilf kennen die meisten Menschen nur aus Ziergärten. Doch das Multitalent kann viel mehr. Als schnell nachwachsender Rohstoff liefert „Elefantengras“ Biomasse wie kaum eine andere Pflanze und bindet CO2 maximal. Sein Einsatzbereich ist vielfältig: zum Heizen, Dämmen und immer mehr auch zum Bauen. Bis es sich durchsetzt, sind noch einige Hürden zu nehmen. Ein Interview mit Prof. Dr. Ralf Pude (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) und Prof. Dr.-Ing. Architekt Mathias Wirths (Universität Siegen, Fachgebiet Materialkunde).
Was fasziniert Sie an dem Rohstoff Miscanthus?
R. Pude: „Ich habe als einer der ersten in Deutschland meine Diplomarbeit über Miscanthus geschrieben. Es ist eine enorm schnell wachsende Pflanze von bis zu 5 cm am Tag. Darüber hinaus ist sie als Großgras eine relativ robuste Pflanze, die enorme Erträge um die 20 t Trockenmasse pro Hektar liefert.“
M. Wirths: „Infiziert vom ‚Miscanthusvirus‘ wurde ich durch den Kollegen Prof. Ralf Pude (Uni Bonn). Die Eigenschaften des Materials sind fürs Bauen vielversprechend. Es ist einfach bemerkenswert, wieviel CO2 durch Miscanthus gebunden werden kann. Persönlich interessiert mich die Entwicklung von Baumaterialien oder Anwendungsbereichen, bei denen das ‚Rohmaterial‘ wenig verändert wird. Etwa, um Produktionsprozesse einfach zu halten und gleichzeitig die Ästhetik des Materials auch nach der Weiterverarbeitung noch erfahren zu können.“
In welchen Segmenten steckt das größte Potenzial für die Baubranche?
R. Pude: „Diese low-input Pflanze ist sehr Silizium-reich und bindet im Wachstumsverlauf etwa 30 t CO2 pro Hektar und Jahr. Das lässt sich hervorragend in die langlebigen Bau- und Werkstoffe einbinden.“
Wie begegnen Sie möglichen Vorbehalten in Sachen Ästhetik von Miscanthus?
M. Wirths: „Das ist einer der Gründe, warum eine Zusammenarbeit von Agrar- und Materialwissenschaftlern sowie der Architekturbranche wichtig ist. Wir versuchen gemeinsam ökologische, mechanisch belastbare Werkstoffe zu entwickeln, die auch noch eine eigene Ästhetik aufweisen. Nach Abschluss unseres aktuellen Forschungsvorhabens hoffe ich Ihnen mitteilen zu können: Voilà das ist es...sieht doch cool aus, oder?“
Gibt es inzwischen patentierte Verfahren und zertifizierte Produkte?
R. Pude: „Ja, wir waren an mehreren Entwicklungen und beteiligt und haben auch ein Patent fürs Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen. Es fehlt jetzt die Umsetzung mit Unternehmen und der Industrie hinsichtlich Zulassungen.“
Was müsste passieren, damit Miscanthus einen Durchbruch erzielt? In der Schweiz ist man schon weiter.
R. Pude: „Diese Entwicklung stammt ja aus unserer Forschung, 2005 habe ich genau darüber an der Universität Bonn habilitiert. Der Zweitgutachter war von der Uni Siegen, einem Kollegen von Herrn Prof. Wirths. Die Prüfzeugnisse der Schweizer Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) werden nun auch in Deutschland schrittweise anerkannt. In Luxemburg laufen ähnliche Entwicklungen, wo in Kürze eine ganze Miscanthus-Haus-Siedlung errichtet werden soll. Um dies auch in Deutschland zu beschleunigen, sind wir gemeinsam mit der Materialprüfanstalt in Berlin in Kontakt.
Auf landwirtschaftlicher Seite ist alles vorbereitet. Indirekt wird Miscanthus sogar durch das Greening gefördert. Hier stehen allerdings auf EU-Ebene Veränderungen an, und es ist unklar, was mit den sogenannten ‚eco schemes‘ auf die Landwirtschaft zukommt. In Luxemburg wird der Miscanthus beispielsweise in Trinkwassereinzugsgebieten gefördert. Es sollte also gelingen, die sogenannten ökosytemaren Dienstleistungen (Erosionsschutz, Rückzugsgebiet für Nützlinge, CO2-Speicherung etc.) UND eine sinnvolle Nutzung in der Bauwirtschaft zu forcieren.“
Welche Vorbehalte gegen nachwachende Rohstoffe allgemein nerven Sie?
M. Wirths: „Zum einen gibt es vereinzelt noch Vorbehalte, dass ökologische Baustoffe auf dem Gebiet der Ästhetik stark eingeschränkt sind. Zum anderen ist die Zulassung von neuen Materialien als Baustoff ist generell nicht ganz einfach und langwierig.“