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Rohrkolben (Typha)

Stand: März 2023
Foto, Nahaufnahme von Schilfkolben.

Rohrkolben ist eine leichte, stabile und witterungsbeständige Wasser- und Sumpfpflanze, die sich ideal zur Dämmung von Gebäuden eignet. Der Anbau von Typha in Paludikulturen kann gleichzeitig zur Renaturierung von Mooren beitragen.

Lampenputzer, Kanonenputzer oder Schlotfeger wird der Rohrkolben im Volksmund genannt, die wissenschaftliche Bezeichnung lautet Typha. Die Süßgrasart ist hauptsächlich in Osteuropa und im Donau-Delta beheimatet, aber auch hierzulande ist Rohrkolben verbreitet und wächst vor allem an Gewässerufern, in Sümpfen und Mooren. Typha wird 3 – 5 m hoch und ist ertragreich: Ein Hektar bringt jährlich etwa 5-20 t Trockenmasse hervor und eine erste Ernte ist bereits nach 1 – 2 Jahren möglich.

Schwammgewebe der Typha-Blätter

Die Samen und Rhizome (Sprossen) der Typha-Pflanze dienten früher als Nahrungs- und Futtermittel. Blätter und Fasern wurden handwerklich verarbeitet, etwa zu Körben und Stoffen. Heute wird sie gelegentlich zur Reinigung von Abwässern in Kläranlagen oder zum Entgiften von Böden eingesetzt. Rohrkolben ist schimmelresistent, leicht und gleichzeitig sehr stabil. Außerdem bietet die oberirdische Biomasse aufgrund der vielen luftgefüllten Kammern im Durchlüftungsgewebe beste Voraussetzungen für die Nutzung als Dämmmaterial, z.B. als Einblasdämmstoff, als Baudämmplatte oder als Dämmplatte, und kann sogar als Innendämmung eingesetzt werden.

Sandwich-Platten aus Typha
Einblasdämmstoff aus Rohrkolben für den Modulbau

Merkmale von Rohrkolben

Marktanteil nachwachsender Rohstoffe

Obwohl der Marktanteil von Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen über die letzten 10 Jahre stetig gestiegen ist, liegt der Anteil am deutschen Dämmstoffmarkt derzeit nur bei ungefähr 9 Prozent. Beliebt sind Holzdämmstoffe, ihr Anteil betrugt 58 Prozent vom Absatzvolumen aller biologischen Baustoffe (3,5 Mio. m³). Allerdings kostet die Herstellung von 1 m³ Holzfaserdämmstoff im Nassverfahren noch vergleichsweise viel Energie Im Vergleich dazu können Dämmstoffe aus Typha mit einem Zuschlag mineralischer Bindemittel einfach an der Luft trocknen und sind daher energiearm in der Herstellung.

Forschungsprojekt zur Typha-Aufdachdämmung

Aufdachdämmung aus Rohrkolben (Typhaboard)

Das Potenzial von Typha als nachhaltiges Baumaterial zu heben, hat sich ein von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördertes Forschungsprojekt zum Ziel gesetzt. Daran beteiligten sich das Fraunhofer Institut für Bauphysik (IBP), die Firmen Saint Gobain Isover, Typha Technik Naturbaustoffe und der Architekt Werner Theuerkorn. Letzterer ist Impulsgeber und Erfinder der Aufdachdämmung aus Rohrkolben bzw. der Typhaplatte (Typhaboard). Die fertigen Elemente sehen aus wie grobe Spanplatten, sind dabei deutlich leichter und dämmen so gut wie Mineralfasermatten. Das kommt durch die faserverstärkten Stützgewebe der Blätter, die mit einem weichen Schwammgewebe gefüllt sind.

Für die Herstellung wurden die Blätter des Rohrkolbens in gleichartige, relativ große Teile zerkleinert und mit mineralischem Kleber (Magnesit) unter geringem Druck verklebt. Der Energieaufwand sei vergleichsweise gering, heißt es. Den Praxistest im Labor und unter reellen Bedingungen auf der Baustelle haben die Typhaplatten bestanden. Für den Nachweis installierte das Forschungsteam mehrere Dämmplatten und entsprechende Sensortechnik auf einem flexiblen Dachprüfstand des Fraunhofer IBP. Damit wurde eine typische Altbausituation simuliert. Das Ergebnis: Die Typha-Aufdachdämmung überzeugte genauso wie eine vergleichbare Holzfaserdämmung.

Praxisbeispiel: Typhaboard in historischem Fachwerkhaus

Das Fachwerkgebäude der Altstadtfreunde Nürnberg e.V. zu sanieren, erwies sich als herausfordernd: Die Auftraggeber wünschten sich für das historische Bauwerk (15. – 17. Jahrhundert) diffusionsoffene und fachwerksichtige Außenwände in der geringstmöglichen Stärke. Zudem mussten die Energiesparverordnung EnEV 2009 sowie Denkmalschutzauflagen erfüllt werden. Darüber hinaus sollte das Material das Gefach aussteifen und mit der alten Bausubstanz verträglich sein.

Mit dem Typhaboard erreichten die Planer eine schlanke Außenwandkonstruktion von 16 cm zuzüglich 4 cm Putz mit Wand­heizung. Die formstabilen Elemente ließen sich einfach bearbeiten (beschneiden) und an die unregelmäßigen, schiefen Wände anpassen. Fugenquellmörtel in Spalten und Holzrissen sorgt für Winddichtigkeit. Der diffusionsoffene Außenputz wurde mit Samenflugschirmchen der Rohrkolben verstärkt und direkt auf die Platten aufgebracht. Nach einer 18-monatigen Messperiode ermittelte das Fraunhofer IBP die Funktions­tauglichkeit des Wandaufbaus: Der Wärmedurchgangskoeffizien­t für die Ausfachung lag bei 0,26 W/m²K, der für die Gefach- und Holzkonstruktion beträgt 0,31 W/m²K.

Mit dem Typhaboard wurde eine hohe Wohnqualität erreicht, die auf die temperatur- und feuchteregulierenden Außenwände zurückzuführen sei. Einen zusätzlichen Vorteil bietet das Typhaboard durch seine sehr hohe Festigkeit und dynamische Stabilität, was die Platten auch statisch wirksam macht. Auch die Energiekosten haben sich laut den beauftragten Planern Fritsch Knodt Klug + Partner mbB Architekten reduziert.

Außenansicht des sanierten Fachwerkgebäudes in Nürnberg (rechts).
Verbaute Werkstoffplatten aus Rohrkolben (Typha).
Saniertes Dachgeschoss des Fachwerkgebäudes nach Abschluss des Innenausbaus.

Mit Typha trockengelegte Moore renaturieren

Entwässerte Moorflächen sind für 7 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich, da diese – anders als intakte Moore – keinen Kohlenstoff mehr binden, sondern das über Jahrtausende gespeicherte CO2 freisetzen. Laut Mooratlas 2023 der Heinrich-Böll-Stiftung machen trockengelegte Moore nur 10 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen aus, verursachen aber gleichzeitig 37 Prozent der Treibhausgase, die durch Landwirtschaft entstehen. Intakte Moore hingegen sind natürliche CO2-Speicher.

Für den Torfabbau und Erschließung landwirtschaftlicher Flächen wurden jedoch bis heute 95 Prozent der Moore trockengelegt. Durch den Anbau von Typha und anderen nachwachsenden Rohstoffen könnten sie regeneriert und stabilisiert werden. Ein Rohrkolbenbestand lässt sich innerhalb von zwei Jahren etablieren. Er würde große Biomasseerträge bringen und das CO2 binden. Das Greifswald Moor Centrum (GMC) forscht aktuell dazu, wie man den großflächigen Anbau von Rohrkolben schneller in die Praxis bringen kann.

Für den kommerziellen Anbau von Rohrkolben in Deutschland bedarf es sicher noch Überzeugungsarbeit. Denn nur wenn es gelingt, Typha-Dämmstoffe als konkurrenzfähige Alternative auf den Markt zu bringen, steigt der Anreiz, den Rohstoff anzubauen. Wie und ob renaturierte Moore im Sinne der EU-Agrarpolitik als landwirtschaftliche Flächen gelten, wird aktuell diskutiert. Aber die Chancen für einen großflächigen Anbau von Rohrkolben und anderen Paludi-Pflanzen stehen gut. Laut der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe sollen Anbau und Nutzung von Paludi-Biomasse im Zuge der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab 2023 beihilfefähig sein.

So kritisiert die Deutsche Umwelt Hilfe in der Broschüre Innovationen in der Wärmedämmung (PDF / 4 MB) die langwierigen Genehmigungsprozesse und fordert spezielle Anreize zum Anbau von Typha für Produzenten sowie Landwirte. Wenn die nicht davon überzeugt sind, dass sich die Bewirtschaftung rentiert, wird es schwierig sein, auf den Anbau von Typha umzusteigen.

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Perspektiven für das Nischenprodukt Typha

Trotz seiner nachgewiesenen Vorteile fristet Rohrkolben aktuell noch ein Nischendasein als nachwachsender Rohstoff. In der Praxis umgesetzte Projekte wie die Sanierung des Fachwerkhauses in Nürnberg und das Bora Hot Spa Resort in Radolfzell bilden die Ausnahme oder haben, wie im Falle des Typhahaus auf der EXPO 2015 in Mailand, eher experimentellen Charakter. Das liegt auch an der bislang immer noch fehlenden allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung.

Typha-Platten in Holzrahmenkonstruktion, Sauna Bora Hot Spa Resort in Radolfzell
Typhahouse auf der EXPO Mailand

Eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung wäre allerdings ein wichtiger erster Schritt, um diesen nachwachsenden Rohstoff positiv zu besetzen und Anreize für alle Beteiligten zu schaffen. Denn auch angesichts des angestiegenen Bauvolumens auf 480 Mrd. Euro im Jahr 2022 und Bau- und Abbruchabfälle im Umfang von 229,4 Mio. t (2020) ist Rohrkolben mit seiner Recycelfähigkeit von 100 Prozent perspektivisch eine Alternative.

Um die Grundlage für eine schnellere Zulassung dieser neuen Bauprodukte zu schaffen, wurde ein hochschulübergreifendes Forschungsprojekt unter Beteiligung der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe und der Jade Hochschule Oldenburg ins Leben gerufen. Ziel ist die Auswertung der Messdaten aus Typha-Dämmstoffen als Grundlage für eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung dieser Dämmmaterialien.

Aktuell sind die Rohrkolbenbestände hierzulande noch gering und da es noch keinen großflächigen bzw. kommerziellen Anbau von Typha gibt, können die Pflanzen bislang auch noch nicht industriell in größeren Mengen zu Dämmstoff verarbeitet werden. Jedoch: Typha aus anderen Teilen Europas zu importieren konterkariert die Idee von Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Eine Lösung hierfür könnte in der Etablierung sog. Paludikulturen liegen.

Die Nachfrage nach nachwachsenden und energiearm hergestellten Baustoffen für die Bauindustrie steigt kontinuierlich und das Konzept der Paludikulturen könnte eine echte Alternative für die Beschaffung von lokal angebauten und nachhaltigen Rohstoffen sein, die in einem geschlossenen Stoffkreislauf geführt werden können.

So eignet sich Schilf traditionell als Dach-Reet oder in Form von Schilfrohrplatten als Wanddämmung, Trittschalldämmung oder auch als Putzträger für Fassaden im Neubau und in der Sanierung. Gepresste Schilfrohrplatten werden kommen naturbelassen ohne weitere chemische Zusatzstoffe aus. Rohrkolben (Typha) bieten aufgrund ihrer Leichtigkeit und gleichzeitiger Stabilität in Kombination mit den vielen luftgefüllten Kammern im Gewebe optimale Voraussetzungen für die Nutzung als Dämmmaterial, z.B. als Einblasdämmstoff oder als Dämmplatte. Die braunen Fasern der Fruchtstände können zusätzlich als Füllmaterial oder zur Faserverstärkungen in Dämmputze verwendet werden, eignen sich aber auch als Innendämmung.

Anschubhilfe leistet das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderte Projekt Paludi-PRIMA. Ein Verbundprojekt der Universität Greifswald und der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei in Mecklenburg-Vorpommern (LFA), das aus einem interdisziplinären Team heraus versucht, aus einem großflächigen Praxisanbau Erkenntnisse u.a. zu Themen wie rechtliche Rahmenbedingungen, ökonomische Aspekte oder Biomassequalität zu gewinnen, um daraus Empfehlungen für Landwirtschaft, Politik oder auch die Baubranche abzuleiten.

Definition Paludikultur

Als Paludikultur (Palus = lat. Sumpf, Morast) bezeichnet man die produktive, also die land- oder forstwirtschaftliche Nutzung von nassen Mooren mit geeigneten Pflanzen wie Schilf, Rohrkolben, Seggen, diversen Gräsersorten oder Torfmoos unter Torferhalt. Moore sind eine der wichtigsten Kohlenstoff- und Wasserspeicher, dienen als Erosionsbremsen und können einer sommerlichen Überhitzung durch Verdunstungskühlung entgegenwirken. Die angebaute Biomasse kann regelmäßig geerntet und als Bau- oder Dämmstoff genutzt werden. Zum einen eröffnet diese Art der Bewirtschaftung neue und regionale Wertschöpfungsketten und somit Chancen für eine neue Bioökonomie, was gleichzeitig als neues Geschäftsmodell für die Wiedervernässung von trockengelegten Mooren dienen kann, und zum anderen wird durch Themen wie Kohlenstoffspeicherung, Biodiversitätsschutz oder Wasserrückhalt und -reinigung ein wichtiger Beitrag für den Klimaschutz geleistet.

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