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„Die Kreislaufwirtschaft braucht gemeinsame Standards!"

Stand: Dezember 2023
Foto, Markus Brunner

In der Bauindustrie spielen Normen eine Schlüsselrolle. Sie stehen mitunter aber auch in der Kritik, wenn es um nachhaltige Innovationen geht. Zu langsam, zu sehr auf Sicherheit bedacht lauten gängige Vorurteile. Diplom-Ingenieur Markus Brunner, stellvertretender Geschäftsstellenleiter des DIN-Normenausschusses Bauwesen, über die Chancen und Grenzen von Normen für zirkuläres Bauen.

Normen gelten oft als bürokratische Hürde, gerade beim klimaneutralen Bauen. Stimmt das?

Das ist eine gängige Fehlannahme. Tatsächlich sind Normen im Baubereich unerlässlich, um Konsens zu schaffen, Konfliktpotenziale zu minimieren und Innovationen in die breite Anwendung zu bringen. Sie dienen als gemeinsame Sprache für alle am Bau Beteiligten. Sie sorgen dafür, dass Dinge zusammenpassen und ermöglichen messbare Ziele für abstrakte Themen wie den Klimaschutz. Ohne sie müsste im Bauprozess viel improvisiert werden.

Warum sind Normen so wichtig?

Normen bieten allen Beteiligten Sicherheit. Sie erleichtern die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren vom Produkthersteller bis zum Anwender und gewährleisten die Qualität von Bauprozessen und -materialien. Zudem sparen sie Zeit und Kosten. Ohne Normen wären die Nachweise der Bauwerkssicherheit, die die Bauaufsicht fordert, deutlich aufwendiger. Für jeden Einzelfall müsste durch Gutachten und Prüfungen Sicherheit und Effektivität nachgewiesen werden. Relevant ist zum Beispiel, ob von den verwendeten Materialien Gefahren für die Gesundheit ausgehen oder ob die Anforderungen an den Brandschutz erfüllt werden. Wenn mehrere Hersteller die gleiche Technologie über einen längeren Zeitraum erfolgreich eingesetzt haben und die Bauart sich als gut erwiesen hat, ist das üblicherweise der Startschuss für den Normungsprozess.

Wie entsteht eigentlich eine Norm und wer ist daran beteiligt?

Die Normenentwicklung folgt einem festgelegten Ablauf. Grundsätzlich kann jeder einen Normungsantrag stellen. Voraussetzung dafür, dass ein Antrag angenommen wird, ist die gesellschaftliche Relevanz. Aber auch, dass in europäischen oder internationalen Normungsorganisationen keine entsprechenden Vorhaben bearbeitet werden. Nach einer internen Prüfung beginnt dann die eigentliche fachliche Arbeit in einem Expertengremium. Hier ist es wichtig, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen verschiedenen Interessengruppen zu wahren, damit Partikularinteressen keine Chance haben. Der Entwurf einer Norm unterliegt einem öffentlichen Kommentierungsprozess. Jede und jeder hat die Möglichkeit, Entwürfe im Portal des DIN einzusehen und zu kommentieren. Alle Einsprüche werden sorgfältig geprüft.

Sind Normen ein Mittel, um Innovationen im Bausektor voranzubringen?

Absolut. Bei DIN legen wir großen Wert darauf, Innovationen zu fördern. Für Zukunftsthemen haben wir eine eigene Abteilung für Strategische Themenentwicklung (STE). Die Kolleginnen und Kollegen beschäftigen sich mit Themen wie Wasserstofftechnologien, künstlicher Intelligenz und Kreislaufwirtschaft. Sie unterstützen mit ihrer Expertise die Fachausschüsse von DIN und halten nach neuen Innovationen Ausschau. Im Baubereich gilt das vor allem für die Digitalisierung der Branche mithilfe von Building Information Modeling (BIM) sowie für den Klimaschutz und kreislauffähige Gebäude.

Wie können Sie als DIN die Normenentwicklung unterstützen?

Mit der Normungsroadmap „Bauwerke“ haben wir ermittelt, wo in der Baubranche Bedarfe bestehen. Beim Neubau gibt es fast für alles eine Norm – bis hin zum Smart Home. Eine riesige Lücke tut sich aber beim Thema Kreislaufwirtschaft auf. Der Rückbau erfolgt mit der Abrissbirne, fast wie in der Steinzeit. Wenn ein Normungsbedarf besteht, bringen wir die relevanten Player zusammen, sensibilisieren und klären über die Relevanz von Normen auf. Denn da gibt es Unterschiede: Einem Ziegelhersteller muss ich nicht erklären, wie sehr ihm eine Norm hilft. Das weiß er. Anders die Rückbauunternehmen – hier entstehen ganz neue Geschäftsmodelle für Akteure, die sich in erster Linie als Entsorger und nicht als Baustoffhersteller verstehen und teils noch wenig Berührungspunkte mit Normen hatten. Das erklärt auch, warum es für die Wiederverwendung von Bauteilen keinen klar definierten Stand der Technik gibt.

Welche Probleme bringt das mit sich?

Nehmen wir die Baustoffbörsen. Sie stehen voll in der Verantwortung. Wenn es keine genormten Regeln gibt, wie alte Baustoffe wieder eingesetzt werden dürfen, entsteht ein Problem bei der Haftung.

Gibt es denn Standardisierungsfortschritte beim zirkulären Bauen?

Unter dem Dach des DIN haben Interessierte beispielsweise eine Art Vorstufe für eine Norm zum Thema Rückbau entwickelt. Eine solche DIN SPEC hat den Vorteil, dass sie innerhalb weniger Monate auf den Weg gebracht werden kann, weil sie in kleineren Arbeitsgruppen erstellt wird und keine Konsenspflicht besteht. So sind in der neuen DIN SPEC 91484 Vorgaben für ein sogenanntes Predemolition Audit definiert. Sie bietet für abrissreife Gebäude eine einheitliche Methode, um das Potenzial der einzelnen Bauteile für eine hochwertige Anschlussnutzung zu erfassen. Das ist ja ein Schlüsselbereich für die Kreislaufwirtschaft. Die DIN SPEC kann perspektivisch auch die Grundlage für eine DIN-Norm bilden.

Welche Herausforderungen bestehen im Hinblick auf Normen?

Oft wird angenommen, dass Normen dem zirkulären Bauen im Weg stehen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Das eigentliche Problem ist oft das Fehlen von Normen, nicht ihre Existenz. Wir arbeiten daran, die Lücken zu schließen und sicherzustellen, dass Normen den Anforderungen des zirkulären Bauens gerecht werden.

Über Prof. Markus Brunner

Markus Brunner ist Diplom-Ingenieur und stellvertretender Geschäftsstellenleiter des DIN-Normenausschuss Bauwesen (NABau).

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