Klimaneutrale Quartiere: Potenziale heben
Stand: Juni 2022Quartiere bieten vielfältige Möglichkeiten auf dem Weg zum klimaneutralen Gebäudebestand. Wir zeigen auf, wo Potenziale, Herausforderungen, aber auch Grenzen liegen.
Deutschland will bis 2045 einen treibhausgasneutralen Gebäudesektor erreichen. Quartierslösungen bieten dafür nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche und soziale Vorteile. Dazu tragen sie konkret unter anderem wie folgt bei:
- Erneuerbarer Strom und klimaneutrale Wärme: Mehr erneuerbare Energie braucht auch einen lokalen Zubau. Mit Vor-Ort-Konzepten können beispielsweise Flächen für eine klimaneutrale Energieversorgung des Quartiers eingesetzt werden.
- Sektorenkopplung: Im Quartier treffen bisher getrennt gedachte Bedarfe aus Heiz-, Kühl-, Strom- und Mobilitätsanwendungen sowie der Wirtschaft zusammen. Eine lokale Kopplung verspricht Synergien.
- Integration und Flexibilität: Das Quartier kann mit sogenannten Systemdienstleistungen für das Stromnetz zur Stabilität der Energieversorgung beitragen.
- Skaleneffekte: Im Quartier verbinden sich vielfältige Sektoren und Akteure. Diese Größenvorteile können für neue Produkte und Dienstleistungen genutzt werden.
Die nächsten Schritte
Die Ampel-Koalition hat sich im Koalitionsvertrag an mehreren Stellen dafür ausgesprochen Quartiers-/Vor-Ort-Ansätze zu stärken und besser zu fördern. Gleichzeitig fehlt aber das klare Bekenntnis für diese Ebene. Der aktuelle regulatorische Rahmen ist teilweise uneinheitlich und uneindeutig definiert. Der Umsetzungskontext ist durch eine Vielzahl von Einzelanforderungen für die Anwendung im Quartier kompliziert, Handlungsoptionen für die Umsetzenden werden ggf. sogar eingeschränkt.
Eine Debatte darüber, welche Rolle Quartiere im Energiesystem der Zukunft einnehmen und wie diese ausgestaltet werden sollte, ist daher dringend notwendig. Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat dazu eine interministerielle Workshop-Reihe „Handlungsfeld Quartier“ ausgerichtet und gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, dem Bundesumweltministerium, dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung und der Wissenschaft folgende nächste Schritte identifiziert:
1. Einheitliche Definitionslogik für den „räumlichen Zusammenhang“ schaffen
Quartiere stellen einen städtischen Raum mit verschiedenen Schnittstellen dar, je nach Anwendungsfeld ist die Abgrenzung im regulatorischen Rahmen unterschiedlich definiert, z.B. im Gebäudeenergiegesetz (GEG), Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) oder Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Um die verschiedenen Gesetze und Verordnungen besser aufeinander abzustimmen, sollten klare Kategorien des „räumlichen Zusammenhangs“ definiert werden. Dafür werden drei Kategorien vorgeschlagen: Stadtteil, Gebäudegruppe und Gebäude. Diese Definitionen sollten in den relevanten Gesetzen und Verordnungen sowie den Förderprogrammen dann zukünftig einheitlich angewendet werden.
2. Komplexität bei den Anforderungen an die beteiligten Akteure reduzieren
Der Schlüsselakteur Wohnungswirtschaft sollte im Handlungsfeld Quartier mehr Spielraum erhalten. Das könnte bedeuten, das Gewerbesteuerprivileg auszuweiten. Aktuell gelten Vergünstigungen nur für die Versorgung von Mieterinnen und Mietern mit Strom aus Photovoltaik (Mieterstrom) sowie für den Betrieb von Ladestationen für E-Autos. Andere Technologien zur Mieterstromerzeugung werden davon jedoch nicht erfasst und auch Lieferungen an andere Letztverbraucherinnen und -verbraucher, also z.B. an die Mieterschaft von Nachbargrundstücken, sind nicht privilegiert.
Zudem sollten Meldepflichten im Kontext der lokalen Stromerzeugung (z.B. bei der Bundesnetzagentur oder dem Hauptzollamt) zusammengefasst und vereinfacht werden, um administrative Prozesse zu erleichtern. So schlägt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft eine One-Stop-Anmeldung beim Marktstammregister der Bundesnetzagentur mit wechselseitigen Informationsrechten der Behörden vor.
3. Quartiere in neues Strommarktdesign einbeziehen
Das Handlungsfeld Quartier sollte in den laufenden Prozessen verankert werden, in denen es um den Ausbau erneuerbarer Energien geht. Gerade für ein mögliches neues Strommarktdesign müssen Quartiere mitgedacht werden. Regeln für die Vor-Ort-Versorgung sollten konsistent weiterentwickelt werden, so dass sie für typische Quartiersstrukturen in Bezug auf Größe, Anzahl der angeschlossenen Verbraucher, Energiemengen und Anzahl der Gebäude anwendbar sind. So könnten vermehrt lokale Vor-Ort-Stromnetze entstehen, welche die heutigen Kundenanlagen ergänzen bzw. ersetzen. Zudem könnten Anreize für lokales Energy Sharing geschaffen werden. Ziel sollte sein, dass lokale Gemeinschaften möglichst viel der im Quartier erzeugten Energie auch lokal verbrauchen oder für das vorgelagerte Energiesystem Flexibilität bereitstellen.
4. Quartiere bei der kommunalen Wärmeplanung berücksichtigen
Die Bundesregierung will die kommunale Wärmeplanung vorantreiben. Jenseits der Fernwärme und gebäudeintegrierten Lösungen gibt es bereits Beispiele für kleinere Insel-Wärmenetze. Dies gelingt vor allem dann, wenn sich industrielle oder gewerbliche Abwärme an einem zentralen Standort erschließen lässt. Doch da in Bestandsquartieren Wärmeerzeuger und die Dauer bestehender Wärmelieferverträge oft sehr heterogen sind, würde in vielen Fällen eine aufwendige Koordination benötigt. Die mangelnde Koordination verhindert oft den Aufbau eines eigenen Wärmenetzes im Bestand. Daher ist für Quartiere mit Bedarfs- und Potenzialanalysen zu prüfen, inwieweit erneuerbare Energien und Abwärme genutzt werden können. Gleichzeitig sollten organisatorische und rechtliche Grundlagen für die Wärmelieferung zwischen privaten Parteien etabliert werden.
Download des Fazitpapiers zum interministeriellen Workshops
Das Fazitpapier zur interministeriellen Workshop-Reihe „Handlungsfeld Quartier“ bietet eine Zusammenfassung der Diskussionsergebnisse zur Rolle und Ausgestaltung des Handlungsfelds Quartier im zukünftigen Energiesystem und zur Schaffung eines angemessenen regulatorischen Rahmens.