„Nachhaltiges Bauen muss klug sein“
Stand: Juli 2024Ob neue Hitzerekorde, Hochwasser oder starke Unwetter – der Klimawandel macht sich auch in Deutschland zunehmend bemerkbar. Was bislang noch wenig diskutiert wird: Mit immer häufiger auftretenden Extremwetterereignissen steigen auch die Schäden an Gebäuden. Und das ist laut einer Studie des Instituts für Bauforschung in Hannover bereits heute so. Wie gute Klimaanpassung und zukunftsfähiges Bauen aussehen könnten, erklärt die Institutsleiterin Dipl.-Ing. Heike Böhmer im Interview.
Frau Böhmer, was bedeutet nachhaltiges Bauen für Sie?
Nachhaltig ist ein Gebäude dann, wenn es von seinen Bewohnerinnen und Bewohnern wertgeschätzt und gepflegt wird – und zwar auch noch in hundert Jahren. Wir brauchen Gebäude, die zu den Wünschen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner passen. Sie müssen gut und einfach zu nutzen, aber auch instand zu halten und zu warten sein. Und sie müssen langlebig und robust sein. Das gilt für Materialien und Bauteile ebenso wie für Anlagentechnik und Inneneinrichtung. Ein geschätzter Kollege hat das so formuliert: „Wir müssen den Gebäuden eine Zukunft geben.“ Wenn ich mit dieser Haltung ein Haus plane, komme ich ganz von selbst auf die entscheidenden Fragen – etwa nach dem richtigen Material oder einer guten Energieeffizienz. Das bedeutet aber, dass ich keine One-Size-Fits-All-Lösung nutzen darf, sondern jeden Einzelfall betrachten muss.
Was stört Sie an standardisierten Lösungen?
Unsere Gebäude brauchen ein kluges Denken und Handeln. Dort, wo ich anfange zu pauschalisieren, wird genau das verhindert. Es gibt inzwischen so viele tolle Lösungen! Denken wir nur mal an das Beispiel Sonnenschutz: Ich muss mich entscheiden, ob ich mit einem großen Dachüberstand arbeite, verschattende Bepflanzungen nutze oder ob ich auf große Südfenster verzichte. Das kommt ganz auf das Gebäude und den Standort sowie die Wohnwünsche und planerischen Optionen an – und hängt eben nicht allein von normativen Anforderungen ab. Was aber fast noch wichtiger ist: Es geht nicht darum, immer nur der neuesten Förderung hinterherzurennen. Wenn ich allein deswegen unbedingt ein Effizienzhaus 40 bauen will, ist das der völlig falsche Ansatz! Denn es ist sogar denkbar, dass es in Sachen Nachhaltigkeit zukünftig schlecht abschneidet. Etwa wenn ich dafür Produkte verwende, die in zehn Jahren irreparabel kaputt und nicht sortenrein trennbar sind. Das zeigt auch: Energieeffizienz ist eben nicht mit Nachhaltigkeit gleichzusetzen, sondern nur ein Teil davon.
Warum ist es wichtig, Gebäude jetzt gegen Extremwetterereignisse zu wappnen?
Na, ganz einfach: Weil es zwingend notwendig ist! In vielen Regionen lassen sich bereits heute klare Trends erkennen. Bestimmte Wetterphänomene wie Hagel, Gewitter oder Dürre werden weiter zunehmen und könnten bei fehlender Prävention Schäden in Milliardenhöhe anrichten. Das ist eine Tatsache, mit der wir umgehen müssen. Viele schrecken aber vor den anfänglichen Kosten zurück. Dabei muss man Investitionen immer über einen langen Zeitraum betrachten. Die Kosten nach einem Bauschaden können sehr schnell einem kleinen Neubau gleichkommen. Durch eine höhere Anfangsinvestition und eine gute Planung ließe sich das weitgehend vermeiden. Wie das gelingen kann, haben wir am Institut für Bauforschung in unserer Studie „Klimawandel und Extremwetterereignisse – Schadenentwicklung und Anforderungen an Wohngebäude“ untersucht.
Klimaanpassung ist heute noch eher ein Nischenthema. Wie kam es zu Ihrer Studie?
Als Institut sind wir bundesweit für unsere Bauschadenberichte bekannt. Diese veröffentlichen wir jährlich in Kooperation mit der VHV-Versicherung. Dabei prüfen wir, welche Bauschäden besonders häufig als Versicherungsfälle gemeldet werden und was zur Vermeidung wichtig ist. Seit einigen Jahren ist uns aufgefallen, dass in einer Kategorie die Schadenfälle immer häufiger werden: Sogenannte extremwetterbedingte Schäden haben deutlich zugenommen. Das ist natürlich schockierend und sollte uns alle wachrütteln. Wir haben das zum Anlass genommen, eine tiefergehende Studie zu diesem Thema zu veröffentlichen. Beauftragt wurde sie vom Bauherren-Schutzbund e.V. und den VHV-Versicherungen.
Um welche Bauschäden geht es?
Es gibt je nach Wetterphänomen große Unterschiede. Besonders kostenintensive Schäden entstehen zum Beispiel durch Blitzeinschläge, denn hier können ganze Gebäudeteile zerstört werden. Darüber hinaus kann durch die Überspannung empfindliche Gebäudetechnik wie Klima- oder Lüftungsanlagen stark beschädigt werden. Bei Sturm- und Hagelschäden sind die Kosten geringer, allerdings treten diese Schäden häufiger auf. Hier sind vor allem Dächer mit PV-Anlagen gefährdet. Zudem zieht Dürre unsere Gebäude stark in Mitleidenschaft: Thermische Spannungen und Bodenveränderungen können zu Rissen in Bauteilen führen oder Konstruktionen beschädigen.
Welche Maßnahmen müssen jetzt umgesetzt werden?
Gerade der Start eines Hausbaus oder einer Sanierung ist für alles Weitere ausschlaggebend. Hier muss ich erst einmal die Frage stellen: Was brauche ich wirklich, um mich in einem Gebäude wohlzufühlen? Und was ist wichtig, damit der Komfort langfristig erhalten bleibt? Nehmen wir an, ich lebe in einer Region, die häufig von Starkregen oder Hagel betroffen ist. Brauche ich da Wohnräume im Keller? Müssen es die schwellenlosen Türen und bodentiefen Fenster sein oder kann ich auch eine robustere Konstruktion wählen? Dabei gilt es auch, auf die Produktqualität zu achten. Gerade durch den Umstieg auf erneuerbare Energien haben wir eine immer filigranere und dementsprechend auch schadenanfälligere Anlagentechnik. Wichtig ist, dass ich nicht die einfachste PV-Anlage für 7,50 Euro kaufe, sondern eine langlebige Anlage wähle, die etwa hagelsicher ist und wirklich auch zum Objekt passt. Wenn etwas superbillig ist, kann es auf Dauer schlichtweg nicht die gewünschte Funktionalität haben. Und ein Punkt, der mir außerdem noch wichtig ist: Der Wert guter und erfahrener Fachunternehmer ist beim Einbau kaum zu überschätzen! Wir sehen immer höhere Mängel- und Schadenzahlen, die durch falsch verstandene Kosteneinsparung bei Eigenleistungen oder Nicht-Fachfirmen verursacht werden. Wenn fehlende Expertise mit Extremwetterereignissen zusammenfällt, kann sich jeder die Folgen vorstellen.
Welche Akteure sind dabei besonders gefragt?
Zunächst braucht es gute Planerinnen und Architekten, die immer das ganze System im Blick haben. Ihnen muss klar sein, dass eine Maßnahme an einer Stelle immer auch eine Auswirkung an anderer Stelle hat. Stellen Sie sich vor, ich baue in ein Wohnhaus aus den 1950er Jahren wegen guter Förderquoten dichte, dreifach verglaste Passivhausfenster ein, ohne dabei die Außenwände zu ertüchtigen. Das kann dazu führen, dass Wärmebrücken und in einem weiteren Schritt schwerwiegende Schimmelpilzschäden entstehen. In unseren Bauschadenberichten haben wir es gerade bei Sanierungen nicht selten mit den Folgen von Verschlimmbesserungen zu tun! Nicht, weil der Einbau neuer Fenster grundsätzlich ein Problem ist, sondern weil die Modernisierung nicht oder unzureichend geplant wurde. Deswegen halte ich auch eine gute Energieberatung in Kombination mit der fachgerechten Planung für unerlässlich.
Was macht eine gute Energieberatung aus?
Als Energieberaterin muss ich vor Ort sein und mir ein sehr genaues Bild verschaffen – von dem Objekt und von den Menschen. Ich kann nicht anhand von drei Bildern entscheiden, was in einem Haus funktioniert und was gemacht werden muss. Eine gute Beratung schließt neben dem Technischen immer auch eine soziale Komponente mit ein: Ich muss Wege aufzeigen, wie persönliche Wünsche umgesetzt werden können. Und auch mal einen Zahn ziehen, wenn sie – egal ob technisch oder wirtschaftlich – unrealistisch sind. Wichtig ist nicht zuletzt, was zukünftig mit dem Haus passieren soll. Soll es verkauft oder an die Kinder vererbt werden? Stehen die zukünftigen Nutzungsformen heute schon fest oder brauche ich mehr Flexibilität? All das hat Auswirkungen auf den Sanierungsumfang. Wenn bei Entscheidungen externe Personen mit einem fachlichen Blick hinzukommen – und damit meine ich sowohl Planende als auch Energieberatende – hilft das später auch den Bauherren bei Entscheidungen ungemein.
Wie müsste das Bauen von morgen konkret aussehen?
Nicht viel anders als gestern und heute – wir müssen uns nur richtig umschauen und aus dem Vorhandenen lernen, was funktioniert! Die grundsätzlichen Ziele bleiben gleich. Ein Baumeister alter Schule weiß, was es heißt, einen echten Wert zu schaffen. Siehe unsere Altbauten: Sie haben vielleicht nicht immer den besten Schallschutz, nicht die aktuellste Wärmedämmung – aber sie funktionieren überwiegend schadenfrei, werden gerne bewohnt und sind auf dem Wohnungsmarkt begehrt. Und sie sind zukunftsfähig oder können dahingehend ertüchtigt werden. Das ist nachhaltig! Das gilt für alle Konstruktionen und Materialien, die lange genutzt und ohne Qualitätsverlust wiederverwendet werden können. Und auch beim Stichwort Klimaanpassung hilft ein Blick in andere Regionen oder Länder: Viele bauen schon seit 500 Jahren wetter- und klimaresilient. Wir müssen nicht alles neu erfinden, sondern ab und zu auch klug über den Tellerrand schauen!
Über Heike Böhmer
Dipl.-Ing. Heike Böhmer ist Bauingenieurin und Geschäftsführerin des Instituts für Bauforschung e.V. in Hannover.
Weiterführende Informationen
Weitere Informationen finden sich in der Studie „Klimawandel und Extremwetterereignisse" des IFB: