Mit BIM-Tools und KI zur Klimaneutralität
Stand: September 2024BIM-basierte Tools werden in der Baubranche heute nach wie vor nur eingeschränkt verwendet. Oft fehlt es in den Unternehmen an Wissen, mit den neuen Technologien umzugehen. Dabei können sie beim klimaneutralen Bauen und Sanieren einen enormen Beitrag leisten. Wie genau das aussieht und welche neuen Potenziale künstliche Intelligenz bereithält, erklärt Kasimir Forth, Geschäftsführer des Leonhard Obermeyer Center, im Interview.
Herr Forth, kurz erklärt: Was genau ist eigentlich BIM?
Building Information Modelling ist eine digitale Arbeitsmethode, bei der Planende aus verschiedenen Daten ein semantisches 3D-Modell eines Gebäudes erstellen. Dieses Modell dient dann als Grundlage für die gemeinsame Planung aller Beteiligten als „single source of truth“. Das ist ein enormer Fortschritt, denn in der Praxis passiert es häufig, dass Bauherren, Architektinnen oder Ingenieure jeweils mit eigenen Plänen arbeiten, die aber unterschiedliche Informationen enthalten. Das blockiert die Kommunikation und führt teils dazu, dass Arbeit doppelt gemacht wird.
Wie können BIM-basierte Tools dabei unterstützen, nachhaltiger zu bauen?
Wenn ich negative Umweltwirkungen beim Bau reduzieren möchte, muss ich erst mal wissen, was ich bisher überhaupt verursache. Sprich: Ich muss wissen, welche CO2-Emissionen die verschiedenen Bauweisen und Materialien haben. BIM-basierte Tools sind bei aufwändigen Berechnungen wesentlich effizienter und ermöglichen mir überhaupt erst, meine Optionen im Vorfeld auf ihre Nachhaltigkeit hin zu prüfen.
Inwiefern?
Am besten lässt sich das am Beispiel Ökobilanzierung erklären. Das standardisierte Verfahren ist heute die zentrale Berechnungsmethode, wenn ich meine Umweltwirkungen über den gesamten Lebenszyklus feststellen will. Das Problem dabei: Wenn ich anfange, alles per Hand zu berechnen, ist das enorm aufwändig und zeitintensiv. Viele Ökobilanzen sind erst am Ende des Baus fertig – das ist leider unzureichend! Denn zu diesem Zeitpunkt kann ich zwar rückblickend nachvollziehen, was ich verbraucht habe. Alle wichtigen Entscheidungen sind aber schon getroffen. Wenn ich die Informationen für die Ökobilanzierung aber direkt in mein BIM-Modell integriere, kann ich die Berechnung schon in der frühen Planungsphase fertigstellen: Ich habe alle Daten vorliegen und kann ganz einfach die Software nutzen. Und nur dann kann ich auch verschiedene Optionen durchspielen und abwägen, ob ich anstatt einer Betondecke etwa eine Holzhybrid-Decke nehmen will.
Wie häufig wird das in der Praxis heute so umgesetzt?
Ökobilanzierungen erleben gerade einen regelrechten Boom in der Baubranche. Das ist nicht zuletzt der EU-Taxonomie sowie den Kriterien für KfW-Kredite nach dem Qualitätssiegel Nachhaltige Gebäude (QNG) zu verdanken. Neue Bauprojekte sind teilweise nicht mehr finanzierbar, wenn sie diesen Kriterien nicht entsprechen. Zugleich schrecken viele noch davor zurück, digitale Tools für die Berechnung zu verwenden. Oft fehlt es dabei an Wissen und Kompetenz: Nur wenige Unternehmen wagen sich heute schon an BIM-basierte Tools. Zudem hat es die letzten Jahre auch eine gewisse Ernüchterung auf dem Markt gegeben: Sowohl etablierte Software-Unternehmen als auch neue Start-ups haben eine große Bandbreite rausgebracht, was grundsätzlich absolut zu begrüßen ist. Allerdings haben wir es momentan mit einem „Wilder-Westen-Status“ zu tun: Es ist enorm viel in Bewegung und an vielen Stellen fehlt es noch an einheitlichen Standards, die sich erst in den kommenden Jahren entwickeln werden.
Welche BIM-basierten Nachhaltigkeitstools können Sie empfehlen?
Zum Glück haben sich inzwischen immer mehr unabhängige Organisationen gegründet, die die Qualität der Tools bewerten. Sie sprechen konkrete Empfehlungen aus und bieten eine wichtige Orientierung. Persönlich kann ich beispielsweise die Tools One-Click-LCA und Caala sehr empfehlen. One-Click-LCA ist schon seit fast zehn Jahren auf dem Markt etabliert und bietet eine fundierte Unterstützung in der BIM-basierten Lebenszyklusanalyse. Caala ist ursprünglich aus einer Dissertation entstanden und kann dabei unterstützen, unter anderem ganze Portfolios von Gebäuden auf einen Klimaschutzfahrplan zu prüfen.
Welche neuen Entwicklungen sind jetzt mit KI zu erwarten?
KI wird die Effizienz nochmal um ein Vielfaches steigern. Wenn ich ein Gebäude simulieren möchte, nimmt das auch mit BIM-basierten Tools aktuell immer noch mehrere Tage in Anspruch. Ein KI-Tool kann das – wenn auch mit einer gewissen Ungenauigkeit – fast in Echtzeit liefern. Das bietet den Vorteil, dass sich Planende künftig auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren können: Und zwar bei der Entscheidungsfindung zu beraten, anstatt in dieser Zeit nur die Ergebnisse aufzubereiten. Sehr vielversprechend ist KI außerdem im Bestand: Hier sind BIM-basierte Tools häufig zu teuer, weil zunächst ja noch das gesamte Gebäude ausgemessen und nachmodelliert werden muss. Dank der verkürzten Zeit für die Modellierung ist das künftig aber durchaus vorstellbar. Insbesondere, wenn ich zusätzlich etwa mit Scan-Aufnahmen eines Gebäudes arbeite.
Ist KI schon in der Praxis angekommen?
In der Forschung arbeiten wir heute schon tagtäglich mit bauspezifischen KI-Methoden. In der Baubranche dagegen ist das eher die Ausnahme. Das scheitert zum einen an der Kapazität: Viele Unternehmen haben heute gar nicht die Zeit und das nötige Wissen, neue KI-Methoden zu testen. Zum anderen verläuft die Entwicklung neuer Tools gerade noch etwas schleppend: Wir sind als Forschungsinstitut darauf angewiesen, dass Unternehmen bereit sind, ihre Daten mit uns zu teilen. Nur so kann ich die KI trainieren. Viele sind hier aber gerade aus Datenschutzgründen noch zurückhaltend. Umso wichtiger ist es für uns als Institut, dass wir mit Partnern zusammenarbeiten, die offen sind für neue Forschung.
Warum lohnt es sich, heute schon mit den neuen Tools zu arbeiten?
Wir sehen, dass die Situation extrem dynamisch ist. Eine gewisse Überforderung ist dabei nur verständlich. Aber: Berichtspflichten werden in immer mehr Bereichen anfallen, und die Grenzwerte etwa für CO2-Emissionen müssen für die Klimaziele noch weiter abgesenkt werden. Ohne digitale Tools wird das kaum zu bewältigen sein. Diejenigen, die sich heute als First-Mover hervortun, werden später einen großen Vorteil haben. Ob BIM-basiert oder mithilfe von KI – die Branche muss sich jetzt trauen loszulegen!
Über Kasimir Forth
Kasimir Forth ist Geschäftsführer des Leonhard Obermeyer Center. Das Forschungszentrum an der Technischen Universität München setzt sich aus verschiedenen Lehrstühlen zusammen und arbeitet schwerpunktmäßig zum Thema digitale Methoden der bebauten Umwelt. Für Expertinnen und Experten aus der Baubranche werden zudem regelmäßig Fortbildungen zu BIM-basierten Methoden angeboten.