„Wir brauchen Frauen in der Pole Position“
Stand: Oktober 2022Der Verein BAUFACHFRAU Berlin will die Chancen von Frauen in handwerklichen, technischen und gestalterischen Berufen stärken. Architektinnen hatten sich 1988 zusammengeschlossen, weil sie sich als Frauen in dem Berufsfeld nicht gut repräsentiert fühlten. Sie wollten für mehr Gleichberechtigung und Chancengleichheit sorgen.
Heute setzt sich der Verein neben Geschlechtergerechtigkeit auch für nachhaltiges Bauen und eine bessere Fachkräfteausbildung ein. Die Geschäftsführerin Heike Eskandarinezhad im Gespräch.
Hat sich die Situation von Frauen in Bauberufen in den letzten Jahrzehnten verbessert?
Naja. Die Bauleitung vor Ort macht immer noch der Bauleiter, nicht die Bauleiterin. Um als Frau von allen Gewerken respektiert zu werden – da gehört einiges dazu. Ich selbst habe als Landschaftsarchitektin zuvor eine Gärtnerausbildung absolviert – als einzige Frau unter 100 Männern. Da musste man sich schon durchsetzen, das war besonders. Viele unserer Bewerberinnen können sich schlicht nicht vorstellen, in einem männerdominierten Beruf zu arbeiten. Und das ist sehr schade, denn es hemmt sie, sich frei zu entwickeln und eigene berufliche Vorstellungen umzusetzen.
Wie erreichen Sie die Stärkung von Frauen in Handwerksberufen?
Ein zentraler Faktor ist die Ausbildung. Als Verein haben wir vor über 20 Jahren mit holzart eine eigene Tischlerei gegründet. Wir produzieren im Bereich des hochwertigen Möbel- und Messebaus, von Küchenmöbeln über Einbauschränke bis hin zu Ladenausbauten. Damit haben wir einen Ausbildungsbetrieb exklusiv für Frauen geschaffen. Bisher haben wir über 100 Auszubildende zu Tischlergesellinnen ausgebildet.
Gibt es etwas, das Frauen im Handwerksbereich oder in der Bauplanung besser können als Männer?
Nein, das würde ich so pauschal nie ausdrücken. Aber was ich sofort unterschreiben würde: Frauen können es genauso gut. Sie haben aber oft nicht die gleichen Chancen, das zu zeigen und umzusetzen. Aus dem gesellschaftlichen Kontext heraus trauen Frauen sich oft bestimmte Aufgaben nicht zu. Oder sie haben nicht die Erfahrungen gesammelt, dass sie merken: Ich kann das ja auch richtig gut. Da müssen wir sie stärken und Erfolgserlebnisse bieten, damit Frauen ein positiveres Bewusstsein entwickeln.
Was heißt für Sie nachhaltiges Bauen?
Mit dem Vorhandenen arbeiten. Erhalten – statt abreißen und neu bauen. Was noch gut ist, aber nicht mehr gebraucht wird, anderen Nutzungszwecken zuführen. Also das klassische Upcycling und Urban Mining. Nachhaltig bauen und sanieren bedeutet aber auch, klimaschonendere Baustoffe wie Holz oder Lehm einzusetzen. Dabei müssen wir aber immer die begrenzte Verfügbarkeit im Auge behalten. Denn wir können nicht jeden Um- und Neubau nur mit Holz und Lehm stemmen – so viel haben wir nicht von den Materialien. Darum müssen wir auch die Forschung zu anderen nachhaltigen Baustoffen verstärken.
Wie unterstützt BAUFACHFRAU nachhaltiges Bauen?
Neben unseren vielfältigen innovativen Bildungsangeboten haben wir zum Beispiel einen Möbelpass herausgebracht – einen Leitfaden, um Möbelmaterialien nach ihrer Nachhaltigkeit zu bewerten. Da geht es um Holzwerkstoffe und Verbindungsmittel oder die Herkunft der Hölzer. Aspekte wie Verarbeitungsfähigkeit, CO2-Bilanz, Energieverbrauch und Recyclingfähigkeit sind ebenso in die Materialbewertung eingeflossen. Der Leitfaden ist für den Einsatz an berufsbildenden Schulen entwickelt. Auszubildende der holzverarbeitenden Gewerke erhalten Entscheidungshilfen für eine verantwortliche Auswahl von Materialien und in der Kundenberatung.
Welche Projekte setzen Sie in Ihrer täglichen Arbeit um?
Wir bieten vielfältige Projekte zur Weiterbildung an. So schulen wir mit dem cLab-Programm Expertinnen und Experten in Sachen nachhaltiges Bauen. Architektinnen, Statikerinnen, Ingenieurinnen teilen dort ihr Wissen. Neben theoretischem Input geht es auch immer darum, Themen greifbar zu machen, Diskussionen Raum zu geben und Dinge selbst auszuprobieren. Zum Beispiel wirklich mal mit Lehm als Baustoff zu arbeiten. Aber auch die Berufsorientierung ist uns wichtig. Wir geben motivierten Teilnehmerinnen – ob zum Berufswiedereinstieg oder für eine berufliche Umorientierung – in dreiwöchigen QLabs einen breiteren Einblick in die Fachwelt der nachhaltigen Strategien. Themen sind beispielsweise Zero Waste, nachhaltiges Bauen oder die grüne Stadt. Dabei geht es immer vom Großen zum Kleinen, von Quartierslösungen bis zur Fassadenbegrünung.
Was muss in der Berufsausbildung anders laufen?
Es muss ein größeres Bewusstsein für Nachhaltigkeit geschaffen werden – angefangen bei den Baustoffen, die verwendet werden. Das sollte Bestandteil der Ausbildung und der Lehrpläne sein. Und es sollte an den Hochschulen Pflicht sein. Junge Architektinnen berichten mir immer wieder, dass ihnen im Studium das Sinnstiftende fehlt. Oft liegt der Fokus auf Design und Ästhetik. Aber es fehlt das Wissen: Wie mache ich das denn nun eigentlich nachhaltig?
Wie ist denn Ihr Gefühl – gibt es einen Trend zu nachhaltigem Bauen oder ist das ein Nischenthema?
Ich sehe, wie viele kluge Menschen das Thema bewegt, wie viel Power darin steckt und wie viele neue Ideen und Lösungen entwickelt werden. Das macht total viel Mut. Wenn ich aber aus meiner Bubble heraustrete, bin ich manchmal etwas erschrocken. Es wird noch eine Weile dauern, bis nachhaltiges Bauen Mainstream wird. Aber gemeinsam mit allen Akteuren werfen wir unsere Angelhaken aus und erobern uns das Feld nach und nach. Wir sind also definitiv raus aus der absoluten Nische! Und wenn Nachhaltigkeit auch finanziell spürbar ist – siehe die aktuellen Öl- und Gaspreise – dann wird uns das zusätzlichen Schwung geben.
Ist die Preisexplosion auf dem Bau also eine Chance?
Ich sehe das so. Wenn „normale“ Baustoffe auf fossiler Basis teurer werden, könnten nachhaltige Alternativen im Vergleich dazu günstiger werden. Das ist meine Hoffnung – dass ein „echter“ Preis gezahlt wird nach dem Verursacherprinzip!
Wie bleiben Sie selbst am Puls der Zeit?
Wir haben ein großes Netzwerk. Hier in Berlin sind alle großen Player vor Ort, die nachhaltiger bauen wollen. So freue ich mich auch über die Kooperation mit dem Gebäudeforum klimaneutral. So bekommen wir hautnah mit, welche Entwicklungen es gibt und was am Markt, in der Politik sowie der Verwaltung passiert. Wir kooperieren auch mit Frauenvereinen sehr eng. So planen wir zum Beispiel mit Mädchen- und Frauengruppen ihre Aufenthaltsräume und bauen diese in partizipativen Workshops dann gemeinsam unter Anleitung von Fachfrauen. In diesem gemeinsamen Bauprozess lernen die Mädchen ganz nebenbei, dass die traditionellen Rollenbilder überholt sind und welche weiteren beruflichen Perspektiven sich erschließen.
Über den BAUFACHFRAU Berlin e.V.
Mehr Informationen über den Verein und seine Projekte auf der Website des BAUFACHFRAU Berlin e.V.