"Die Kosten für Baustoffe sollten auch die Umweltbelastungen widerspiegeln!"
Stand: Dezember 2023Die Ökobilanz von Baumaterialien rückt immer stärker in den Fokus. Eike Roswag-Klinge, Architekt und Professor an der TU Berlin, ist ein Pionier im Bereich der alternativen Baustoffe. Im Interview skizziert er die Zukunft des nachhaltigen Bauens in Deutschland – und erklärt, warum Beton im Hochbau ein Auslaufmodell ist.
Warum werden wir Gebäude in Zukunft ohne Beton bauen?
Bis 2045 müssen wir mindestens 60 Prozent der mineralischen Ressourcen einsparen, indem wir ihren Einsatz reduzieren und ersetzen. Das belegt die RESCUE-Studie des Umweltbundesamtes ganz eindeutig. Wenn wir den Bausektor betrachten, gehen etwa die Hälfte der mineralischen Ressourcen in die Infrastruktur, zum Beispiel in Straßen oder Brücken. Dort wird es schwer, auf Beton zu verzichten. Damit rückt automatisch der Bau von Gebäuden in den Fokus. Für den Hochbau können wir der Erde in Zukunft kaum noch mineralische Rohstoffe entnehmen.
Beton gilt aber als Allrounder unter den Baustoffen. Sehen Sie Alternativen, die mithalten können?
Wir finden hervorragende Lösungen, wenn wir uns auf unsere Wurzeln besinnen. Historisch gesehen haben Holz und Lehm als Baustoff in Mitteleuropa Jahrtausende dominiert, bevor Beton zum Massenbaustoff wurde. Holz bietet viele Vorteile: Es speichert CO2 und lässt sich mit vergleichsweise wenig Energieaufwand gewinnen. Der Baustoff ist relativ leicht und weist dennoch eine hohe Tragkraft auf. Wir wissen heute, dass Holz auch für den Geschosswohnungsbau eine hervorragende Alternative ist und tragende Decken problemlos umsetzbar sind. Die einzige Achillesferse von Holz als Baustoff ist die der Kontakt zum Baugrund. Aber damit kann man gut umgehen.
Holz ist ein begehrter Rohstoff. Wie sieht es mit der Verfügbarkeit aus?
Wenn Holz im globalen Maßstab für die Bauwirtschaft eingesetzt wird, besteht die Gefahr, dass ganze Gebiete entwaldet werden. Damit wäre niemandem geholfen. Weltweit gibt es aber interessante Ansätze für nachhaltige Forstwirtschaft, zum Beispiel mit schnellwachsenden Pappeln in Bangladesch. Das zeigt, dass eine Wiederbewaldung in Kombination mit Holzbau den Kohlenstoffspeicher der Erde langfristig füllen kann. In Deutschland ist die Verfügbarkeit von Holz aus nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft kein Problem. Was man im Blick haben sollte, ist, dass das Holz regional gewonnen wird. Lange Transportwege sorgen für unnötigen CO2-Ausstoß. Es ist verrückt, wie Baustoffe standardmäßig kreuz und quer durch Deutschland oder sogar die EU gefahren werden.
Wie gut kann Holzrecycling nach dem Ende des Lebenszyklus funktionieren?
Das testen wir derzeit im Forschungsprojekt „Re:Frame Construction“ auf dem Campus der TU Berlin. Dabei geht es um den Neubau eines 1.000 m2 großen Museums-Pavillons. Der Clou: Wir möchten hauptsächlich Altholz aus der Region verwenden. Ein besonderes Merkmal des Gebäudes wird das Altholztragwerk, das eine Spannweite von 12 Metern haben wird. Ziel ist es, mindestens eine Gebäudeachse komplett aus Altholz zu konstruieren.
Bei Ihrem Architekturbüro ZRS liegt ein besonderer Fokus auf Lehm. Warum?
Lehm ist ein traditioneller Baustoff mit enormem Potenzial, sowohl in Deutschland als auch im globalen Süden. Er unterstützt das Ziel einer Kreislaufwirtschaft, da er endlos wiederverwendbar ist und einfach durch Wasser gelöst werden kann. Bauphysikalisch beeinflusst Lehm das Raumklima positiv und steuert die Raumluftfeuchtigkeit. Lehm ist grundsätzlich für viele Anwendungen geeignet, eigentlich scheiden nur extreme Belastungen aus. Unser Ansatz bei ZRS basiert auf Lowtech-Lösungen – wie den in den 2000er Jahren entwickelten Holzlehmhäusern, die keine Lüftungsanlage benötigen.
Welche Hürden erschweren aktuell den Einsatz von Lehm?
Das größte Hindernis ist fehlendes technisches Wissen und mangelnde Skalierung. Die Energiekrise hat auch Positives gebracht – beispielsweise die Erkenntnis, dass das Trocknen von Lehmsteinen in der Sonne viel kostengünstiger ist als der aufwendige Brennprozess für herkömmliche Ziegel. Es gibt bereits Unternehmen, die Lehmsteine in klassischen Ziegeleien oder in Kalksandsteinwerken industriell produzieren – mit den gleichen Werkzeugen, der gleichen Logistik und den gleichen Handwerkern. Die Vorteile liegen im geringeren Energieaufwand und potenziell niedrigeren Preisen.
Welche Vorschriften gelten für Lehm als Baustoff?
Seit den 1990er Jahren existieren spezifische Lehmbauregeln, die von Organisationen wie dem Dachverband Lehm, der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und anderen Institutionen entwickelt wurden. Diese Anwendungsregeln haben den Prozess der Markteinführung von Lehmbauprodukten sicher beschleunigt. Ein Beispiel dafür ist die Einführung der ersten Normen für Trockenbauwände aus Lehm. Allerdings sind die Forschungsmittel weiter vergleichsweise gering, um Normen im Bereich des Lehmbaus zu entwickeln. Dies liegt hauptsächlich an der geringeren Größe der Lehmbauindustrie. Wächst der Markt, werden auch mehr Akteure ein Interesse an Standards haben. Das Ziel muss lauten: mehr Hersteller, mehr Wettbewerb, mehr Produkte. Das führt zu geringeren Preisen, was wiederum die Nachfrage ankurbelt. Und selbstverständlich ist es auch eine Frage der Vermarktung.
Wie kann man als Planerin oder Architekt ein Gebäude klimaneutral und dennoch kostengünstig planen?
Klimaneutrales Bauen erscheint anfangs teurer, aber das ist auch eine Frage der Sichtweise. Der Fokus sollte auf Gesundheit und Langlebigkeit liegen. Nachhaltige Gebäude sind dank besserer Raumluftqualität und Feuchtesteuerung auch gesünder für ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Da stellt die konventionelle Bauweise im Vergleich eine schlechtere Investition dar. Ein fairer Vergleich über die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes zeigt aber auch den ökonomischen Vorteil des nachhaltigen Bauens. Durch weniger Technik entfallen Energiekosten im Betrieb. Aber vor allem kostet die Abfallentsorgung beim Abriss heute absurde Summen. Die Baustoffe von nachhaltigen Gebäuden lassen sich dagegen sortenrein trennen und größtenteils wiederverwenden.
Was waren Ihre bisherigen Lieblingsprojekte in diesem Bereich?
Bisher haben wir uns mit unserem Holzlehmbausystem hauptsächlich auf kleinere Maßstäbe wie Einfamilienhäuser konzentriert. Jetzt setzen wir das im größeren Maßstab um. Beispielsweise realisieren wir gerade in Berlin ein Projekt mit 36 Wohneinheiten im sozialen Wohnungsbau. Einer der Neubauten wird als Ziegelholzbau, der andere als Lehmholzbau umgesetzt. Nach dem Einzug der Mieterinnen und Mieter führen wir ein Monitoring durch, um zu erforschen, wie die Menschen in und mit diesen unterschiedlichen Baumaterialien leben.
Welche Ansatzpunkte sehen Sie, um einen klimaneutralen Gebäudesektor Wirklichkeit werden zu lassen?
In Deutschland liegen noch enorme ungenutzte Potenzial, vor allem bei der Nutzung lokaler Holzarten. Für alle Baustoffe aber gilt: Transportwege verkürzen! Die Kosten, um Baustoffe über weite Strecken zu transportieren, sollten den echten Preis inklusive der Umweltbelastungen widerspiegeln. Umweltschädliches Wirtschaften muss aufhören. Wir sollten konsequent einen Transformationspfad einschlagen und Technologieoffenheit nicht als politisches Instrument zum Schutz schädlicher Industrien verwenden. So hätten wir Ölheizungen schon vor Jahren verbieten sollen, so wie es andere Länder wie Dänemark getan haben. Für unser Bewusstsein ist wichtig: Wir haben es wirklich selbst in der Hand! Für uns im Gebäudebereich heißt das auch: Raus aus dem Neubau, der Wandel muss im Bestand passieren. Dafür brauchen wir auch mutige Bauherren!
Über Prof. Eike Roswag-Klinge
Prof. Dr. Eike Roswag-Klinge ist Professor für konstruktives Entwerfen und klimagerechte Architektur an der Technischen Universität Berlin. Er forscht unter anderem am Natural Building Lab zu nachhaltigen Gebäudekonzepten mit einem Schwerpunkt auf Holz- und Lehmbau. Zudem ist er Gründer und Geschäftsführer von ZRS Architekten.