Schlüssel zur nachhaltigen Bauwende: Lebenszyklusbetrachtung in die Praxis bringen
Stand: Dezember 2024Die Bau- und Immobilienwirtschaft steht vor einer doppelten Herausforderung: Sie muss nachhaltiger werden, zugleich dürfen Wirtschaftlichkeit und Nutzungsqualität nicht leiden.
Die Lebenszyklusbetrachtung hilft dabei, all das zu vereinen. Sie ermöglicht es, Umweltwirkungen und Kosten eines Gebäudes über dessen gesamten Lebensweg hinweg zu bewerten und zu optimieren. Die wichtigsten Aspekte der Lebenszyklusbetrachtung im Überblick – von der Methodik bis hin zu praktischen Tools.
Die Lebenszyklusphasen eines Gebäudes
Die Lebenszyklusbetrachtung analysiert den gesamten Lebensweg eines Gebäudes – von der ersten Idee bis zum Ende der Nutzung. Orientiert an der DIN EN 15804 lauten die einzelnen Schritte:
- Rohstoffgewinnung und Materialherstellung: Die erste Phase des Lebenszyklus beginnt bei der Gewinnung und Verarbeitung von Materialien. Besonders bei energieintensiven Baustoffen wie Zement, Stahl oder Aluminium ist die Auswahl ressourcenschonender Alternativen entscheidend.
- Errichtung des Gebäudes: Hier spielen der Energieeinsatz auf der Baustelle und der Transport der Materialien eine Rolle. Durch optimierte Logistik und den Einsatz vorgefertigter Bauteile lassen sich Emissionen und Bauabfälle reduzieren.
- Nutzung, Betrieb und Instandhaltung: Dieser Zeitraum umfasst den Betrieb eines Gebäudes – von Heizung und Kühlung bis hin zur Wartung. Effiziente Gebäudetechnik und intelligente Steuerungssysteme minimieren den Ressourcenverbrauch und verlängern die Nutzungsdauer.
- Rückbau, Wiederverwendung und Entsorgung: Eine nachhaltige Planung denkt bereits das Ende der Nutzungsdauer mit. Materialien, die leicht recycelt oder wiederverwendet werden können, sind hier im Vorteil. Gebäude mit modularer Bauweise erleichtern den Rückbau.
Die Lebenszyklusbetrachtung integriert alle Phasen und zeigt Optimierungspotenziale auf. Ziel ist es dabei, die Umweltauswirkungen zu verbessern. Werkzeuge wie die Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA) machen diese messbar. So können Planerinnen und Planer beispielsweise die CO2-Emissionen eines Materials mit alternativen Optionen vergleichen oder die Energieeffizienz eines Gebäudes über die geplante Nutzungsdauer prognostizieren.
LCA im Aufwind – bei rechtlichen Vorgaben und Zertifizierungen
Auch der deutsche Gesetzgeber setzt für einen klimaneutralen Gebäudebestand bis 2045 auf Lebenszyklusbetrachtungen. Die EU-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) verpflichtet künftig dazu, nicht nur die Nutzungsphase, sondern auch die grauen Emissionen aus Produktion, Transport, Installation und Entsorgung von Baumaterialien in die Klimabilanz von Gebäuden einzubeziehen. Nationale Regelungen wie das Gebäudeenergiegesetz (GEG) werden diese Vorgaben aufgreifen und zunehmend ganzheitliche Ökobilanzen fordern.
Die wachsende Bedeutung von LCA spiegelt sich auch darin wider, dass immer mehr Zertifizierungssysteme sie als integralen Bestandteil voraussetzen. Dazu zählen beispielsweise die freiwilligen Zertifizierungen von DGNB, LEED, BREEAM oder die Passivhauszertifizierung. Auch für die KfW-Förderung Klimafreundlicher Neubau sowie für Bundesbauten im Rahmen des Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen (BNB) sind LCAs eine Voraussetzung.
Lebenszykluskosten abschätzen
Neben den Umweltauswirkungen spielen wirtschaftliche Abwägungen eine zentrale Rolle für Planungsentscheidungen. Was dabei in der üblichen Betrachtungsweise oft zu kurz kommt: Die Lebenszykluskosten (Life Cycle Costs, LCC) eines Gebäudes gehen weit über die Baukosten hinaus. Sie setzen sich zusammen aus:
- Investitionskosten: Diese umfassen Planung, Materialbeschaffung und Baukosten.
- Betriebskosten: Dazu zählen die Kosten für den Energie- und Wasserverbrauch sowie den täglichen Betrieb.
- Instandhaltungskosten: Reparaturen, Wartungen und Modernisierungen sind regelmäßig anfallende Kostenblöcke.
- Entsorgungskosten: Der Rückbau und die Entsorgung von Baumaterialien, aber auch die potenziellen Einnahmen aus der Wiederverwendung und dem Recycling werden berücksichtigt.
Betriebs- und Instandhaltungskosten stellen in der Regel die größten langfristigen Belastungen dar. Energieeffiziente Technologien wie Wärmepumpen, Photovoltaik oder innovative Lüftungssysteme, aber auch langlebige Materialien und modulare Bauweisen minimieren diese Kosten. Dabei gilt: Die Investitionskosten können bei nachhaltigen Projekten zwar anfangs höher sein, doch Best-Practice-Beispiele zeigen, dass sich diese Mehrkosten oft bereits nach wenigen Jahren durch Einsparungen im Betrieb amortisieren. So reduziert beispielsweise ein Passivhaus im Vergleich zu einem konventionellen Neubau die Heizkosten um über 75 Prozent (Quelle: Passivhaus Institut).
Die richtigen Datenbanken finden
Die Grundlage jeder Lebenszyklusbetrachtung sind verlässliche und standardisierte Daten. Eine wichtige Voraussetzung für die Bewertung von Baustoffen sind die sogenannten Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declarations, EPDs). EPDs sind standardisierte Datensätze, die Umweltinformationen über den Lebenszyklus eines Produkts bereitstellen. In der Praxis helfen verschiedene Datenbanken, unter anderem:
- ÖKOBAUDAT ist die zentrale Datenbank in Deutschland für standardisierte Ökobilanzdaten von Bauprodukten. Sie enthält Informationen zu Treibhausgasemissionen, Energieverbrauch und anderen Umweltauswirkungen, die in Lebenszyklusanalysen integriert werden können.
- Die GaBi-Datenbank ist eine der weltweit am häufigsten genutzten Ökobilanzdatenbanken, besonders in Projekten, die internationale Standards und Zertifizierungen einhalten müssen. Sie bietet umfangreiche Datensätze, die auf wissenschaftlicher Forschung und industriellen Anwendungen basieren.
Digitalisierung hilft: Tools und BIM-Integration
Planungs- und Berechnungstools ermöglichen es, verschiedene Bauoptionen miteinander zu vergleichen und fundierte Entscheidungen zu treffen. Mittlerweile haben sich eine Reihe digitaler Tools bewährt. eLCA ist beispielsweise ein webbasiertes Tool, das die ÖKOBAUDAT integriert und eine benutzerfreundliche Plattform für die Erstellung von Ökobilanzen bietet. Auch SimaPro ermöglicht LCAs für Planerinnen und Planer sowie Unternehmen. Mit dem EcoTool können Fachleute auf Grundlage weniger Eingaben – Standort, Material und Konstruktion von Wand, Decke sowie Fassade – die ökologische Gesamtbilanz des entworfenen Gebäudes abschätzen. Viele Planungssoftwarelösungen bieten im Rahmen des Building Information Modeling (BIM) direkte Schnittstellen zu LCA-Datenbanken. Dies erleichtert die Einbindung von Lebenszyklusdaten in die Entwurfsphase und ermöglicht es, nachhaltige Alternativen direkt in der Planungssoftware zu simulieren.
Weiterführende Informationen
Mehr über Lebenszyklusanalysen im erweiterten Themenbereich „Lebenszyklusbetrachtung" des Gebäudeforums: