Soziale Aspekte der Gebäude-Energiewende
Stand: Juli 2024Ein signifikanter Teil der Gesamtausgaben für das Wohnen entfällt auf Kosten für Räumwärme und Warmwasser. Diese standen in Deutschland lange Zeit kaum im Fokus, da die Preise für Gas und Öl auf relativ niedrigem Niveau lagen. Nach dem Ausbruch des Angriffskriegs auf die Ukraine im Jahr 2022 wurde jedoch Erdgas, das knapp 50 Prozent der deutschen Haushalte mit Wärme versorgt, im Schnitt mehr als doppelt so teuer wie noch 2021.
Das zeigt: Die Kosten für Wärme belasten die Menschen zunehmend, was eine geringere Bezahlbarkeit der Energieversorgung und damit weniger soziale Teilhabe zur Folge hat.
Für den Erfolg der Energiewende spielen soziale Aspekte wie Teilhabe und eine sozialgerechte Ausgestaltung aber eine wesentliche Rolle. Beides sorgt für eine breite Unterstützung innerhalb der Gesellschaft und führt dazu, dass viele Menschen von den Vorteilen profitieren.
Teilhabe als Erfolgsfaktor
Die möglichst breite gesellschaftliche Teilhabe an der Wärmewende ist eine wesentlicher Erfolgsfaktor. Die Möglichkeiten, Teilhabe zu ermöglichen, sind sind dabei vielfältig und können ganz unterschiedlich aussehen: Förderprogramme für die Sanierung sind genauso wichtig wie die positive Kommunikation und eine feste Anlaufstelle für Fragen im Fall der Transformation eines Quartiers. Wesentlich ist dabei, die Vorteile und Co-Benefits herauszuarbeiten.
Status Quo von Energie- und Wohnkosten
Steigende Energiepreise, die auch im Rahmen künftiger Anstrengungen für den Klimaschutz zu erwarten sind, treffen nicht alle Haushalte gleichermaßen. Teilt man die deutschen Haushalte in drei Gruppen nach ihrem Einkommen auf, wird sichtbar: Haushalte mit geringen Einkommen geben einen deutlich höheren Teil ihres Einkommens für Wärme aus als solche mit hohen Einkommen. Das betrifft sowohl Mieterinnen und Mieter, als auch selbstnutzende Eigentümerinnen und Eigentümer.
Preise für fossile Energieträger werden auch weiterhin schwanken und durch die Bepreisung von CO2 langfristig steigen. Damit kann die Wohnkostenbelastung zu einer größeren Herausforderung werden.
Steigende Energiepreise treffen sozio-ökonomisch benachteiligte Haushalte nicht nur deshalb stärker, weil diese weniger frei verfügbares Einkommen besitzen. Eben jenes geringe Einkommen ist ebenfalls Druck auf der Einnahmen-Seite ausgesetzt. Hierzu zählt, dass sich geringe Einkommen in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit schlechter entwickelt haben, als Einkommen besserverdienender Haushalte. Auch Inflation und steigende Mieten tragen ihren Teil zur höheren Wohnkostenbelastung bei.
Das Resultat: Signifikante Teile der Haushalte in Deutschland sind bezüglich der Bezahlbarkeit von Energie- und Wohnkosten bereits heute vulnerabel oder könnten es werden. Haushalte gelten dann als vulnerabel, wenn sie in ineffizienten, fossil beheizten Wohnungen mit einem Energieverbrauch von mehr als 180 kWh/m² leben, ein hoher Anteil der Gesamtausgaben für Wärme verwendet wird und sie in der unteren Einkommenshälfte verortet sind. Das trifft aktuell in Summe auf ca. 3,1 Mio. Haushalte in Deutschland zu. Die finanziellen Auswirkungen hoher Energiepreise führen zudem zu weiteren konkreten Herausforderungen im Alltag. Denn wo es an Geld fehlt, ändern Menschen ihr Verhalten und beheizen ihre Wohnung gegebenenfalls nicht mehr ausreichend.
Download-Tipp
Der Bericht „Soziale Aspekte der Gebäude-Energiewende: Herausforderungen und Möglichkeiten“, erstellt von der dena in Kooperation mit dem Öko-Institut, greift die aktuell bestehenden sozialen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Energiewende im Gebäudesektor auf. Dabei werden Haushalte mit geringem Einkommen in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Gleichzeitig werden in der Publikation die klimapolitische, wirtschaftliche und soziale Dringlichkeit einer sozialverträglichen Gebäude-Energiewende herausgearbeitet.
Die Publikation richtet sich an Akteurinnen und Akteure aus Politik und Verwaltung, aber auch aus Verbänden, Forschungsinstituten und NGOs. Sie bietet eine Orientierung und Einführung in die Thematik und stellt die grundlegenden Herausforderungen und Möglichkeiten einer sozialgerechten Energiewende im Gebäudesektor dar.
Gebäudeenergie im klimapolitischen Kontext
Inklusive der Emissionen aus der Nutzung von Strom und Fernwärme, die in Gebäuden verbraucht werden, entfallen etwa 35 Prozent des Endenergieverbrauchs und etwa 30 Prozent der CO₂-Gesamtemissionen auf den Gebäudesektor. Wohngebäude machen davon wiederum mit mehr als drei Vierteln den Hauptanteil aus.
Wenn ein Gebäude sowohl mit fossilen Energieträgern beheizt wird und auch dessen Effizienz gering ist, sind die CO2-Emissionen besonders hoch. Letzteres ist vor allem der Fall, wenn die für die Beheizung aufgebrachte Energie ineffizient in Wärme umgewandelt wird – zum Beispiel in einer alten Gasheizung – und wenn sie dann nicht im Gebäude gehalten werden kann, weil Fenster undicht oder Wände nicht isoliert sind. Solche Gebäude, auch Worst Performing Buildings genannt, stehen besonders im Fokus der im Frühjahr 2024 beschlossenen EPBD-Novelle. In der Verbesserung der Beheizungsstruktur und Effizienz dieser Gebäude liegen die größten Potenziale, um die angestrebten Emissionsreduktionen im Gebäudesektor zu erreichen.
Bislang werden in Deutschland zu wenige Gebäude saniert, um perspektivisch im Jahr 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Gleichzeitig gibt es dadurch ein großes Energie- und Emissionseinsparpotenzial. So können mit dem Wechsel von einer fossil betriebenen Heizung zu einer auf Basis erneuerbarer Energieträger in Kombination mit der energetischen Ertüchtigung der Gebäudehülle sowohl die CO2-Emissionen nahezu komplett eingespart, als auch gleichzeitig die laufenden Energiekosten massiv gesenkt werden. Das stellt vor allem für Haushalte mit geringen Einkommen eine große Entlastung dar.
Aktuell investieren Eigentümerinnen und Eigentümer jedoch kaum in die Energieeffizienz und Anlagentechnik ihrer Häuser, um von den Co-Benefits einer Sanierung zu profitieren und das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Den politischen Rahmen für die Steuerung hin zur Zielerreichung setzt seit Ende 2019 das Bundesklimaschutzgesetz (KSG). Das KSG legt Emissionsreduktionsziele für verschiedene gesellschaftliche Sektoren fest, so auch für Gebäude. Diese festgelegten Ziele verfehlt der Sektor kontinuierlich – zuletzt hat er 2023 zum vierten Mal in Folge seit Inkrafttreten des Gesetzes die Zielvorgaben überschritten.
Ab 2027 wird der nationale Brennstoffemissionshandel durch das EU-Emissionshandelssystem II ersetzt. Es wird einen marktseitig bestimmten CO2-Preis für fossile Energieträger geben, der ihre Nutzung mutmaßlich teurer macht. Bei erneuerbaren Energien sind Preisanstiege in diesem Maße nicht zu erwarten. Eine Sanierung von Gebäudehüllen bzw. der Wechsel zum Heizen mit erneuerbaren Energien lohnen sich also langfristig. Wo die Erfüllung ordnungsrechtlicher Vorgaben mit einer staatlichen Förderung einhergeht, ist das besonders attraktiv. Auch für den Staat und die Gesellschaft als Ganzes ist solch ein Handeln sinnvoll, da so künftig auch Unterstützungen für Transferleistungsbeziehende geringer ausfallen könnten.
Wenn die Energie- und Wohnkostenbelastung der Menschen wegen steigender Energieträgerpreise zunimmt, wirkt sich das auf die soziale Gerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft aus. Die Möglichkeit, dass einzelne Haushalte aufgrund ausbleibender Effizienzmaßnahmen an Gebäuden zunehmend weniger finanziellen Handlungsspielraum haben, steigt. Das wiederum erhöht potenziell den Bedarf für staatliche Hilfen, um Heizkosten zahlen zu können. Das erschwert die Sicherung der notwendigen Unterstützung für das Großprojekt Energiewende.
Effizienz und Bezahlbarkeit
Handlungsoptionen auf dem Weg zu energieeffizienten und bezahlbaren Wohnungen und Häusern können grundsätzlich wie folgt unterschieden werden in:
- Reine Verhaltensänderungen
- Maßnahmen mit geringem Investitionsaufwand
- Strukturelle, aber investitionsaufwändige Maßnahmen
Die größten Potenziale für eine Verbrauchs- und Emissionsminderung liegen bei Maßnahmen, die strukturell den Wärmebedarf des Hauses senken, beispielsweise durch die Verbesserung der Dämmleistung von Fenstern, Türen, Wänden, Dächern und Fußböden. Auch die Optimierung der Be- und Entlüftung mit Rückgewinnung von Wärme aus dem Haus ist solch eine Maßnahme. Durch sie steigt langfristig die Unabhängigkeit von den Preisen der eingesetzten Energieträger.
Das Konzept der Warmmietenneutralität
Mit 58 Prozent wohnt mehr als die Hälfte der über 40 Millionen Haushalte in Deutschland zur Miete. Bei den unteren zehn Prozent der Haushalte nach Einkommen sind es sogar fast 90 Prozent. Die große Mehrheit der Mietenden hat keine Möglichkeit Einfluss auf die Art ihrer Heizungsanlage oder den energetischen Standard ihres Gebäudes zu nehmen. Zudem sind die Möglichkeiten in angespannten Mietmärkten begrenzt, Wohnungen nach ihrer Energieeffizienz auszusuchen. Haushalte mit geringeren Einkommen wohnen daher tendenziell seltener in neuen und energetisch effizienten Wohnungen als Haushalte mit hohen Einkommen.
Durch das Umsetzen von Sanierungsmaßnahmen durch Vermietende können Mietende resilienter gegenüber zukünftigen Entwicklungen werden. Vermietende können hingegen die Investition auf die Kaltmiete umlegen, wodurch das Investitionsrisiko klein bleibt. Ein wichtiges Konzept ist dabei das der Warmmietenneutralität. In diesem Idealfall kann die Erhöhung der Kaltmiete durch die Energiekosteneinsparung der Mietenden voll kompensiert werden, so dass unter dem Strich keine erhöhte Wohnkostenbelastung entsteht.
Wohnen im Eigentum
Selbstnutzende Eigentümerinnen und Eigentümer profitieren unmittelbarer von Sanierungen als mietende Haushalte. Allerdings erfordern strukturelle Effizienzmaßnahmen zunächst eine hohe Anfangsinvestition, was für viele Selbstnutzende mit geringem Einkommen oder im Rentenalter dazu führen kann, dass sie entweder sehr schlechte Kreditbedingungen oder gar keinen Kredit bekommen.
Viele Effizienzmaßnahmen werden aktuell gefördert, was zu einer schnelleren Amortisation führt. Allerdings bleiben die Investitionskosten für geringverdienende Haushalte auch dann vergleichsweise hoch, wenn bereits einzelne Maßnahmen zu Einsparungen bei den Energiekosten führen.
So gibt es neben der rein finanziellen Unterstützung durch Zuschüsse, die den Rückzahlbetrag reduzieren, ergänzend auch günstige Kreditbedingungen für die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen. Seit Anfang 2024 enthält die Bundesförderung Effiziente Gebäude erstmals auch eine soziale Komponente, durch die Haushalte mit einem Jahreseinkommen unter 40.000 € einen zusätzlichen Bonus für den Heizungstausch erhalten können.
Dennoch können sich Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen trotz bestehender Hilfen größere Investitionen oftmals nicht leisten. Haushalte mit geringen Einkommen machten 2022 (Anmerkung: dies war vor der Einführung des oben genannten Einkommensbonus) nur einen kleinen Anteil an den durch die BEG geförderten Einzelmaßnahmen und einen sehr kleinen Anteil an den Komplettsanierungen aus.
Aktuell fließt ein signifikanter Teil staatlicher Unterstützungsleistungen in transferleistungsempfangende Haushalte, die in wenig effizienten Gebäuden mit fossil betriebenen Heizungen leben. Die bereitgestellten Mittel für Effizienzmaßnahmen und erneuerbares Heizen im Gebäudebereich erreichen hingegen eher Haushalte mit hohen Einkommen. Investitionen für Haushalte mit niedrigen Einkommen, die in ineffizienten Gebäuden leben, sind deshalb doppelt profitabel: Sie entlasten sowohl Haushalte mit geringen Einkommen als auch die öffentlichen Kassen.
Beispiel: Einkommensgestaffelte Förderung in Frankreich
Frankreich bietet seit 2020 mit dem Programm „MaPrime Rénov'“ selbstnutzenden Eigentümerinnen und Eigentümern, Vermietenden und Eigentümergemeinschaften gestaffelte Zuschüsse für energetische Sanierungen. Die Höhe der Zuschüsse richtet sich nach dem Einkommen und der erreichten Effizienzsteigerung. Haushalte mit hohen Einkommen müssen, um überhaupt gefördert zu werden, höhere Ambitionsniveaus wählen, zum Beispiel durch Komplettsanierungen mit einer gewissen Sanierungstiefe. Sie erhalten dafür bis zu 30 Prozent der anfallenden Kosten erstattet. Haushalte mit sehr niedrigen Einkommen können für solche Komplettsanierungen bis zu 80 Prozent erstattet bekommen.
Weiterführende Informationen und Downloads
- Öko-Institut e.V.: Wohn- und Energiekostenbelastung von Mietenden
- Ariadne: Analyse – Schweden als Vorbild zur Überwindung des Vermieter-Mieter-Dilemmas – (Teil)warmmieten oder Reform der Modernisierungsumlage (PDF / 1 MB)
- Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. / Öko-Institut e.V.: Umsetzung des ETS II und des Klima-Sozialfonds in Deutschland
- Öko-Institut e.V. / e-think energy research: Wie die Bundesregierung Energiearmut gezielt verringern kann und die Bevölkerung davon profitiert (PDF / 5 MB)
Soziale Aspekte der Gebäude-Energiewende: Herausforderungen und Möglichkeiten
Der Bericht liefert einen Themeneinstieg sowie eine Faktenbasis zu sozialen Aspekten der Gebäude-Energiewende und präsentiert Handlungsoptionen, um Ansätze und Werkzeuge für die sozial gerechte Ausgestaltung des Transformationsprozesses zu entwickeln.